Eine Ordnung für Blätter und Blüten

Text: Gastbeitrag von Noah Regenass

Wie ordnet man die gesamte Welt der Pflanzen, wenn man mehr Erkenntnisse für die Medizin gewinnen will?

Caspar Bauhin, Professor für Anatomie und Botanik in Basel nimmt sich um 1620 der Frage an. Zu ihrer Beantwortung beschreitet er einen revolutionären Weg: In seinem Werk Pinax Theatri botanico aus dem Jahr 1623 unterteilt er die bisher völlig unsystematisch und konfus aufgelistete Pflanzenwelt in "Gattungen" und "Arten". Jede Pflanzengattung erhält einen spezifischen Namen, die dazugehörenden Arten bekommen noch ein Beiwort. Genial einfach, oder einfach genial – die von Bauhin geschaffene Systematik ebnet den Weg für eine eigene wissenschaftliche Disziplin: die Botanik.

Pflanzenbilder mit Beziehung zu Caspar Bauhin und seinem Herbar Basel, [16. Jh.] Universitätsbibliothek Basel Shelf Mark: K IV 3
Pflanzenbilder mit Beziehung zu Caspar Bauhin und seinem Herbar Basel, [16. Jh.] Universitätsbibliothek Basel Shelf Mark: K IV 3

Noah Regenass schildert in dem kurzen Video (2') den Werdegang und die Bedeutung von Caspar Bauhin.

Bauhin als Arzt und Anatom

Der Werdegang Bauhins scheint schon bei seiner Geburt vorgezeichnet: Bereits sein Vater ist Mediziner, steigt gar zum Leibarzt von König Franz I. von Frankreich auf, bis er aufgrund seines Glaubens flüchten muss. Im toleranteren geistigen Klima Basels erblickt schliesslich sein Sohn Caspar am 14. Januar 1560 das Licht der Welt. Caspar Bauhin absolviert das Gymnasium "auf Burg", das heutige Gymnasium am Münsterplatz und schreibt sich als Medizinstudent an der Universität Basel ein. Seine Studien führen ihn an die bekanntesten medizinischen Fakultäten seiner Zeit: Montpellier, Bologna, und Tübingen. Besonders der Tübinger Professor Leonhard Fuchs, der Bauhins Leidenschaft für Pflanzen teilt, ist ein wichtiger Förderer des Basler Studenten. Fuchs‘ Bücher gelten als Standardwerke der Pflanzenkunde und sind mit Sicherheit eine Inspirationsquelle für den angehenden Medicus.

Während seines Studienaufenthaltes an der Pariser Sorbonne macht Bauhin seine vielleicht bedeutendste Entdeckung für die Medizin: Bei einer von ihm vorgenommenen Sektion einer menschlichen Leiche beschreibt Bauhin als erster die Verbindung zwischen Dünn- und Dickdarm. Dieser Fund ist bis heute mit seinem Namen verbunden: Die sogenannte Ileocaecalklappe, oder gängiger: die "Bauhinsche Klappe".

Nach der Rückkehr in seine Heimatstadt anno 1581 wird Bauhin nach bestandenem Doktorexamen ins hiesige medizinische Kolleg aufgenommen. Zeitgleich folgt er dem Ruf als Ordinarius der griechischen Sprache. Die Professur erfordert keinen allzu grossen Zeitaufwand und so unterrichtet Bauhin zusätzlich im Sommer privat Botanik und im Winter Anatomie.

Postkarte mit Ansicht der alten Universität und St. Martinskirche (1910-1920)

ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / PK_014168

Postkarte der mittleren Rheinbrücke mit Martinskirche und alter Universität (1910-1920)

ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / PK_014168

Flora und Fauna von nah und fern

1589 markiert ein wichtiges Datum für Bauhin. Denn obwohl er schon mehrfach als Ordinarius an der medizinischen Fakultät vorgeschlagen worden ist, nimmt er erst 1589 den dritten Lehrstuhl der Medizinischen Fakultät an, jenen für Anatomie und Botanik. Die Professur ist nicht nur auf Bauhins Interessen zugeschnitten, sondern auch die Infrastruktur an der Universität kann sich sehen lassen: Ein neues Theatrum anatomicum, also ein Raum für Schausektionen, sowie ein ebenfalls neu angelegter botanischer Garten, den Bauhin mitbegründet, werden eingeweiht und bieten für botanische Forschungen den geeigneten Rahmen. Seine anatomischen Forschungen veröffentlicht Bauhin 1605 in seinem Werk Theatrum anatomicum, worin er sämtliche Funktionen der einzelnen Körperteile beschreibt und sich dabei offensichtlich an Vesalius orientiert.

Für seinen Lehrstuhl der Pflanzenkunde bietet der botanische Garten einen idealen Platz für Experimente und zum Studium der Flora. Es ist der zweite Garten seiner Art nördlich der Alpen und befindet sich am Unteren Kollegium der Universität beim Rheinsprung. Er umfasst auch ältere, bereits vorhandene Gärten, wo Ärzte und Apotheker Heilkräuter anpflanzen. Neben der Arbeit im botanischen Garten unternimmt Bauhin zusammen mit Studenten während den warmen Frühlings- und Sommermonaten Exkursionen, um die Pflanzenwelt in der Region Basel zu studieren. Als Resultat dieser Feldforschungen publiziert er anno 1622 den Catalogus plantarum circa Basileam sponte nascentium. Es handelt sich dabei um einen Katalog über die natürlich wachsenden Pflanzen in der Region Basel. Erneut leistet Bauhin mit dieser Publikation Pionierarbeit, denn das Buch gilt als erste konsequent durchgeführte Studie einer Regionalflora. Als Grundlage dient Bauhin auch seine bereits zwei Jahre zuvor erschienene Arbeit Prodromos Theatri botanici, worin er 6000 Pflanzenarten beschreibt und mit Illustrationen versieht.

Caspari Bauhini Basil. Archiatri Catalogus plantarum circa Basileam sponte nascentium (…), mit handschriftlichen Anmerkungen von Werner de Lachenal. S. 95
Caspari Bauhini Basil. Archiatri Catalogus plantarum circa Basileam sponte nascentium (…), mit handschriftlichen Anmerkungen von Werner de Lachenal. S. 95

Bauhins Herbarium und die erste Kartoffelpflanze!

Die Leidenschaft für die Pflanzenwelt beginnt bei Bauhin nicht erst während seiner Studien in Italien, Frankreich oder Deutschland. Bereits in jungen Jahren legt er ein Herbarium an, das er wohl bis zu seinem Tod im Jahr 1624 akribisch führt. Am Ende seines Lebens umfasst es über 4000 Spezies. Diese eindrückliche Sammlung gehört zu den ältesten erhaltenen Herbarien und ist heute im Besitz der Universität Basel.

Bauhins Kollektion beschränkt sich nicht nur auf Pflanzen aus der Region Basel, er nimmt auch exotische Exemplare auf, die er zusammenkauft. Da kommt es ihm entgegen, dass Basel ein internationaler Handelsknotenpunkt ist. So kommt auch eine ganz unscheinbare Pflanze in Bauhins Herbarium: die älteste noch existierende Kartoffelpflanze aus der neuen Welt. Wie oder wann die Pflanze genau am Rheinknie auftaucht, lässt sich nicht mehr feststellen. Die Pflanze hat aber, soviel steht fest, eine bewegte Reise hinter sich: Wohl aus den Anden stammend überquert sie den Atlantik, bis sie dann entweder in Portugal, Spanien oder im entfernteren Italien an Land gebracht wird. Von dort aus geht es auf dem Landweg oder, wenn immer möglich, auf Flüssen weiter, bis die Pflanze in Basel ankommt, wo Bauhin sie wohl erwirbt. Doch wie löst Bauhin die Frage der Namensgebung für dieses exotische Gewächs? Die Inkas nennen die Kartoffel Papas, was man mit Knollen übersetzen kann. Die Italiener hingegen bezeichnen Kartoffeln als "tartufoli". Bauhin sieht als umgangssprachlichen Namen für die Kartoffel "Grübling" vor, was sich nicht durchsetzt. Im Gegensatz zum von Bauhin vorgeschlagenen wissenschaftlichen Namen: Solanum tiberosum esculentum – was soviel bedeutet wie essbarer knolliger Nachtschatten.

Pflanzenbilder mit Beziehung zu Caspar Bauhin und seinem Herbar Basel. UB K IV 3

Pflanzenbilder mit Beziehung zu Caspar Bauhin und seinem Herbar Basel. UB K IV 3

Pflanzenbilder mit Beziehung zu Caspar Bauhin und seinem Herbar Basel. UB K IV 3 Universitätsbibliothek Basel

Pflanzenbilder mit Beziehung zu Caspar Bauhin und seinem Herbar Basel. UB K IV 3 Universitätsbibliothek Basel

Pflanzenbilder mit Beziehung zu Caspar Bauhin und seinem Herbar Basel. UB K IV 3 Universitätsbibliothek Basel

Pflanzenbilder mit Beziehung zu Caspar Bauhin und seinem Herbar Basel. UB K IV 3 Universitätsbibliothek Basel

Pflanzenbilder mit Beziehung zu Caspar Bauhin und seinem Herbar Basel. UB K IV 3 Universitätsbibliothek Basel

Pflanzenbilder mit Beziehung zu Caspar Bauhin und seinem Herbar Basel. UB K IV 3 Universitätsbibliothek Basel

Pflanzenbilder mit Beziehung zu Caspar Bauhin und seinem Herbar Basel. UB K IV 3 Universitätsbibliothek Basel

Eine neue Ordnung setzt sich durch

Die Wirkung von Bauhins Pflanzentaxonomie kann kaum überschätzt werden. Carl von Linné, der die Disziplin "Botanik" in den modernen Wissenschaftsbetrieb überführt, kann nur über die Vorarbeit von Caspar Bauhin verstanden werden. Bauhins Entdeckungen und Forschungen verblassen gerne im Schatten seines ebenfalls berühmten Zeitgenossen und Kollegen Felix Platter. Platters Stadtbeschreibung und sein Pestbericht sind insbesondere für Historikerinnen und Historiker wichtige Quellen. Die grosse wissenschaftliche Leistung Bauhins ist hingegen nur noch in Fachkreisen bekannt – obwohl die Früchte seiner Arbeit, zumindest in Form der Kartoffel, noch heute in aller Munde sind.

Quellen

Pinax Theatri Botanici Caspari Bauhini Basileens. Archiatri & Professoris Ordin. sive Index in Theophrast (…). Basel 1623, Signatur UBH Bot 1623.  

Caspari Bauhini Basil. Archiatri Catalogus plantarum circa Basileam sponte nascentium (…), mit handschriftlichen Anmerkungen von Werner de Lachenal. Signatur: UBH Bot 1209. 

Pflanzenbilder mit Beziehung zu Caspar Bauhin und seinem Herbar Basel, [16. Jh.] Universitätsbibliothek Basel. Signatur: UBH K IV 3. 

In der botanischen Sammlungen am Departement für Umweltwissenschaften der Universität Basel lagern rund eine Million Herbarbelege und werden online zugänglich gemacht. 

Autor

Dr. Noah Regenass ist Fachreferent der Basler Bibliographie und Bildersammlungen an der Universitätsbibliothek Basel