Maias Frage nach der Wahrheit

Text: Claudia Moddelmog

«Wie könnt ihr sicher sein, dass ihr die Wahrheit kennt?

fragte Maia bei unserem Besuch in der Isaak Iselin Schule. Claudia Moddelmog von Stadt.Geschichte.Basel antwortet.

Liebe Maia,

ich heisse Claudia und forsche für die Basler Stadtgeschichte zum Zeitraum von 1250 bis 1530.

Deine Frage nach wahr und falsch in historischen Dokumenten beschäftigt uns immer wieder. Erstens müssen wir immer fragen, ob ein altes Schriftstück, eine Münze oder ein Bild überhaupt echt sind. Wir können dazu ein Stück Papier auf sein Alter prüfen. Oder wir vergleichen eine Schriftart mit anderen Schriftarten aus derselben Zeit - und so weiter. Zweitens fragen wir, was wir glauben können. Woher hatte eine früherere Geschichtsschreiberin ihre Informationen? Hat sie bestimmte Ereignisse selbst miterlebt, hatte sie Kontakt zu Augenzeugen oder schrieb sie irgendwo ab? Und an wen wandte sie sich mit ihrer speziellen Geschichte? Wollte sie jemanden unterstützen, als Vorbild darstellen oder anklagen? Gibt es andere Schriftstücke aus ihrer Zeit, die ihre Geschichte bestätigen oder widerlegen? Stehen ihre Aussagen im Einklang mit dem Wissen, das wir schon haben?

Claudia Moddelmog
Claudia Moddelmog
Königin Agnes von Ungarn in einer Bildhandschrift zur Habsburger Familie und den Gefallenen der Schlacht bei Sempach, um 1560. Landesmuseum Zürich
Königin Agnes von Ungarn in einer Bildhandschrift zur Habsburger Familie und den Gefallenen der Schlacht bei Sempach, um 1560. Landesmuseum Zürich

Eine Königin und zwei Beispiele

Ich gebe Dir zwei Beispiele aus meiner eigenen Forschung. Ich habe mich viel mit der Königin Agnes von Ungarn beschäftigt. Sie war um das Jahr 1300 einige Jahre mit einem König von Ungarn verheiratet. Als Witwe kehrte sie zu ihren Eltern an den Königshof nach Wien zurück. Später lebte sie meist im Aargau. Erst vor kurzem habe ich herausgefunden, dass Agnes in Basel ein Haus beim Münsterplatz besass. So steht es in drei verschiedenen Schriftstücken, die im Staatsarchiv in Basel aufbewahrt werden. Also: Mehrere Dokumente, die nicht voneinander abgeschrieben wurden, erwähnen das Gebäude. Ein Haus in bester Lage passt ausserdem zu einer Frau, die so einflussreich war wie Agnes und die sogar einmal Friedensverhandlungen zwischen Zürich und Basel geleitet hat. In einem der Schriftstücke ist nun die Rede davon, das Haus müsse neu aufgebaut werden. Dieses Dokument stammt aus dem Jahr 1357. Und wieder fügt sich alles glaubhaft zusammen: Denn wir wissen, dass sich nur wenige Monate vorher das bekannte Basler Erdbeben ereignet hat.

Erdbeben in Basel. Chronicon Helvetiae, Teil I, 1576, Aargauer Kantonsbibliothek
Erdbeben in Basel. Chronicon Helvetiae, Teil I, 1576, Aargauer Kantonsbibliothek

Eine Frage führt zur nächsten

Ganz anders steht es um Agnes als Stiefmutter. Dazu gibt es genau zwei Berichte, die bald nach ihrem Tod an verschiedenen Orten entstanden sind. Einmal heisst es, Agnes sei gegenüber ihrer Stieftochter aufmerksam und gütig gewesen. Die andere Darstellung lässt sie als hartherzig und geizig erscheinen. Welcher Geschichte wir glauben, hängt vor allem davon ab, mit welchen Argumenten wir unsere Meinung abstützen. Nur wenn wir unsere Kolleginnen und Kollegen davon überzeugen können, dass Agnes eine richtig böse Stiefmutter war, gilt das als Stand der Forschung. Wir werden deshalb nie ganz fertig damit, wahre und falsche Geschichten zu unterscheiden und zu selbst zu erzählen. Ich selbst denke, dass wir nie wissen werden, wie Agnes als Stiefmutter war. Das ist aber nicht alles. Am schönsten finde ich es, wenn sich neue Fragen ergeben. Ich fände es wirklich interessant zu erforschen, ob Stiefmütter zu allen Zeiten einen schlechten Ruf haben. Könnten wir daraus nicht viel über die Geschichte von Familien lernen?

Plan der Stadt Basel im 14. Jahrhundert (Rekonstruktion) von Nordosten, [nach 1356], Staatsarchiv Basel-Stadt
Plan der Stadt Basel im 14. Jahrhundert (Rekonstruktion) von Nordosten, [nach 1356], Staatsarchiv Basel-Stadt

Gespräch

Maia aus der Primarschule Isaak Iselin hat ihre Frage der Webredaktion gestellt und unsere Mitarbeiterin Claudia Moddelmog hat sie für uns beantwortet.

Quellen

Portrait von Agnes aus: Zürich, Schweizerisches Nationalmuseum, LM 22737, p. V23 – Porträts der Habsburger Familie und der Gefallenen der Schlacht bei Sempach (1386)

Balser Erdbeben: Aarau, Aargauer Kantonsbibliothek, MsWettF 16: 1, p. 288 – Silbereisen: Chronicon Helvetiae, Teil I 

Plan der Stadt Basel im 14. Jahrhundert (Rekonstruktion) von Nordosten, [nach 1356]. Planbeilage zu: Daniel Fechter, Topographie mit Berücksichtigung der Cultur- und Sittengeschichte, in: Basel im vierzehnten Jahrhundert, Basel 1856 (Dokument). Staatsarchiv Basel-Stadt

Vor Offizial. Katharina von Thierstein, Witwe des Markgrafen Rudolf Edelknechts, Markgraf von Sausenberg, verspricht, das Haus neben der Dompropstei, welches sie von der Königin Agnes von Ungarn (zu Königsfelden) zu Lehen hat, wieder aufzubauen. Staatsarchiv Basel-Stadt, Domstift III/43

Vor Thüring von Ramstein, Dompropst. Frau Margarethe von Ratoltzdorf, Götzfritz Bitterlis von Eptingen eines Edelknechts Ehefrau gibt dem Domkapitel ein näher bez. Haus samt Hof auf und erhält dasjenige der Königin Agnes von Ungarn (Königsfelden). Staatsarchiv Basel-Stadt, Domstift III/5

Ludwig von Ratoltzdorf, Ritter, gelobt, dass er der Königin von Ungarn (Agnes) und dem Gotteshaus Königsfelden für seinen Schwager Goetfrit Bitterlin von Eptingen, Edelknecht, für den Hof zu Basel Sicherheit zu leisten. Staatsarchiv Basel-Stadt, Domstift III/6

Ueber den Charakter der Königin Agnes von Ungarn (Zürich, 27. Dezember 1855). Staatsarchiv Basel-Stadt, PA 207a 171, 9