Daniel Sidler: "Ich bin Daniel Sidler und zusammen mit Marcus Sandl bin ich verantwortlich für Band 4 der neuen Basler Stadtgeschichte. Band 4 behandelt die Frühe Neuzeit, die Zeit vom 15.-18. Jahrhundert, von der Reformation bis in die Helvetik.
Die Frühe Neuzeit scheint uns häufig weit entfernt. Doch viele Entwicklungen, die Basel über die nachfolgenden Jahrhunderte geprägt haben – und zum Teil bis in die Gegenwart hinein prägen – wurden in dieser Zeit angestossen. Man denke nur an die Reformation, die am Beginn unseres Zeitraums steht. Viele Schauplätze der damaligen reformatorischen Umbrüche sind vor Ort noch immer zu besichtigen: zum Beispiel das Münster und andere Stadtkirchen, in denen Johannes Oekolampad und weitere Geistliche in den 1520er Jahren im Sinne der Reformation zu predigen begannen, oder die Zunft- und Wirtshäuser, und natürlich auch die Gassen und Plätze, auf denen sich die Menschen damals versammelt haben um sich gemeinsam gegen die alte Kirche und die bestehenden Machtverhältnisse aufzulehnen.
Um die Reformation zu verstehen, müssen wir aber auch untersuchen, wie Johannes Oekolampad und seine Weggefährten mit anderen Reformatoren und Humanisten in ganz Europa und insbesondere am Oberrhein vernetzt waren. Der Oberrhein blieb während der gesamten Frühen Neuzeit wichtig für die Stadt, teilweise sogar fast wichtiger als die Zugehörigkeit Basels zur Eidgenossenschaft.
Die Reformation war eines der Ereignisse, welche auf die Stadt eingewirkt haben. Beim Betreten einer Kirche beispielsweise lässt sich rasch feststellen, dass Bilder und Statuen fehlen, da sie zur Reformationszeit ausgeräumt worden sind. Das war aber nur eines – ein offensichtliches – Phänomen unter vielen anderen Phänomenen. Auch die politischen Strukturen, die Sittlichkeit und Moralvorstellungen haben sich in dieser Zeit verändert und Basel durch die Frühe Neuzeit hindurch geprägt. Teilweise sogar bis heute."
Marcus Sandl: "Nicht nur auf dem Gebiet der Religion und der Politik begannen in der Frühen Neuzeit viele Entwicklungen, deren Folgen wir heute noch sehen. Auch im Bereich der Wirtschaft gab es Umbrüche, die Basel bis in die Gegenwart hinein beeinflussen. Am prägendsten in dieser Hinsicht war wohl das Ereignis, welches 1668 stattfand. Ein Basler Weber, Emanuel Hofmann-Müller, brachte in diesem Jahr einen neuen Webstuhl aus Amsterdam in die Stadt. So entwickelte sich in Basel im 18. Jahrhundert – im Übrigen gegen den Widerstand der Basler Zünfte und ihre eher protektionistische Wirtschaftspolitik – eine blühende Seidenbandindustrie, die nicht nur die Eidgenossenschaft, sondern bald halb Europa belieferte.
Hergestellt wurden die Seidenbänder dabei vorrangig nicht innerhalb der Stadtmauern. Die städtischen Fabrikanten beschäftigten vor allem auf der Landschaft viele Weber*innen und trugen dazu bei, eine für die Zeit neue Erwerbsform zu etablieren: die abhängige Lohnarbeit. Für viele Einwohner*innen der Landschaft bedeutete das Weben eine neue Erwerbsquelle, viele allerdings lebten trotz dieser Arbeit aber weiterhin in sozial prekären Verhältnissen. Die Kaufleute und Fabrikanten hingegen konnten, vernetzt in den europäischen und später auch Welthandel, aus dem Vollen schöpfen. Zu Hause, in Basel, zeugen noch heute viele Gebäude, die im 18. Jahrhundert entstanden sind, von ihrem Reichtum. Dazu zählen beispielsweise das Weiße und das Blaue Haus am Rheinsprung, das die Brüder Lukas und Jakob Sarasin um 1770 erbauen liessen. Es diente als Kontor für die von der Landschaft kommenden Seidenprodukte, war aber auch repräsentativer Ausdruck einer neuen und für die weitere Zukunft Basels zentralen städtischen Führungsschicht.
Die Frühe Neuzeit hat also viele Spuren hinterlassen, die wir heute noch sehen können und die unser Leben bis in die Gegenwart beeinflussen. Das zu verstehen und zu vergegenwärtigen, macht unsere Arbeit am Frühneuzeitband der Basler Stadtgeschichte für uns so spannend."