Anina und die Stadtmauern

Text: Christoph Matt

«Wieso und wann wurde die Stadtmauer abgerissen und weshalb steht sie nicht mehr ganz?

fragte Anina bei unserem Besuch in der Basler Primarschule Isaak Iselin. Christoph Matt, pensionierter Archäologe und Mitautor von Band 2 (800-1270) der neuen Basler Stadtgeschichte, hat geantwortet.

Im "Dalbeloch"

Liebe Anina, du hast zwei gute Fragen gestellt. Nämlich: Wie lange gibt es die Stadtmauer eigentlich, und weshalb sieht man sie nicht mehr? Aber erst einmal möchte ich dir sagen, wer ich bin. Ich heisse Christoph Matt, bin noch nicht so lange pensioniert, und habe ein Arbeitsleben lang als Mittelalter-Archäologe in Basel gearbeitet. Ich habe viele hundert grössere und kleinere Ausgrabungen begleitet sowie Bauuntersuchungen von alten Häusern, zusammen mit der Denkmalpflege.

Wie oft ich dabei auf die alte Stadtbefestigung von Basel gestossen bin, weiss ich nicht mehr. Es kam aber häufig vor! Und damit habe ich bereits etwas Wichtiges gesagt: Die Stadtmauern sind früher an den meisten Orten abgebrochen worden. Deshalb sind sie nicht mehr sichtbar. Aber: Ihre Fundamente liegen noch an ganz vielen Orten im Boden drin! Immer, wenn ein Baugeschäft in der Stadt Gräben für Leitungen aushebt, sind die Archäolog*innen mit vor Ort. Sie dokumentieren, was die Bauarbeiter*innen erschlossen haben. Oder sie heben den Graben gleich selber aus. "Dokumentieren" heisst: Den Graben zeichnen, einmessen, fotografieren und natürlich alle Funde bergen.

Ich beginne da, wo wir jetzt stehen: Auf einer Stadtmauer im "Dalbeloch" oder im "St. Alban-Tal" wie es offiziell heisst. Wir stehen am Mühlegraben unterhalb vom "Dalbedoor" (St. Albans-Tor) hinter der alten Papiermühle, die heute das Schweizerische Museum für Papier, Schrift und Druck ist. Hier stehen wir auf dem Wehrgang dieses 130 Meter langen Stadtmauer-Stücks. Es ist nicht das einzige Stadtmauer-Stück, das in Basel erhalten geblieben ist, doch bei weitem das schönste und längste. Leider kann man hier nicht einfach hinaufsteigen. Man braucht dazu einen Schlüssel beziehungsweise die Erlaubnis. Wäre es frei und ohne Kontrolle zugänglich, würde vermutlich zu viel kaputt gemacht werden von Leuten, die nur Blödsinn im Kopf haben.

Christoph Matt
Christoph Matt

Die äussere Stadtmauer (die 3. Stadtmauer)

Basel hat mehr als nur eine Stadtmauer. Wir sind hier auf der äusseren Stadtmauer. Die heisst ganz einfach so, weil sie die äusserste von allen Stadtmauern ist. Sie schützt die Vorstädte, die sich wie ein Halbkreis um die Innenstadt legen. Ausgehend von der "Dalbe-Vorstadt" (St. Alban-Vorstadt) zieht sie sich über die Aeschen-Vorstadt, die Spalen-Vorstadt und die "Santihans-Vorstadt" (St. Johanns-Vorstadt), bis sie im Norden, in zirka 2 Kilometer Entfernung an den Rhein stösst.

Die äussere Stadtmauer hat man erbaut, um die Vorstädte, die ich vorhin aufgezählt habe, mit einer Mauer zu schützen. Auf diese Weise waren die Leute, die in diesen Vorstädten lebten, in Sicherheit. Man hat die Mauer kurz nach dem grossen Basler Erdbeben im Jahr 1356 angelegt, nämlich im Jahr 1362, und man hat zwischen den Vorstädten grosse Gebiete mit einbezogen, die gar nicht überbaut waren. Dort hatte es Gärten, Obstgärten und sogar Rebberge. Vielleicht hat man das deshalb gemacht, dass, wenn wieder ein Erdbeben kommt, dort die Leute und ihre Tiere in provisorischen Zelten überleben können, und trotzdem von einer Mauer geschützt sind. Die ganze Mauer hatte eine stolze Länge von 4 Kilometern! Das war allerdings eine Länge, die man nicht hätte verteidigen können, hätte ein starker Feind von überall her gleichzeitig angegriffen.

Als man die äussere Stadtmauer gebaut hat, hat es noch kaum Feuerwaffen gegeben, wie beispielsweise Kanonen. Doch die kamen dann rasch einmal auf und wurden zu einer echten Bedrohung für die schwache Mauer. Schon bald einmal genügte die äussere Stadtmauer bei schwerem Artilleriebeschuss nicht mehr. Darum hat man sie später punktuell mit kanonentauglichen festen Bollwerken und Artillerieschanzen verstärkt. Doch eine richtig grosse Belagerung musste sie nie aushalten.

Die innere Stadtmauer (die 2. Stadtmauer)

Die innere Stadtmauer liegt hinter den Vorstädten an der "Graben-Strasse". Damit meine ich den "Dalbe-Graben" (St. Alban-Graben), den Leonhards- und den Petersgraben. Diese sind nämlich nichts anderes als die aufgefüllten alten Stadtgräben, die vor der inneren Stadtmauer lagen. Die innere Stadtmauer ist älter als die äussere Stadtmauer. Man hat sie im 13. Jahrhundert gebaut, vermutlich im ähnlichen Zeitraum wie die Rheinbrücke, also in den Jahren um 1225 – genau weiss man es nicht. Sie war kürzer als die äussere Stadtmauer, nämlich zirka 1.6 Kilometer lang. Und was speziell ist: Diese Mauer, die etwa 150 Jahre älter ist als die äussere Stadtmauer, ist viel stärker und dicker! Obwohl man damals nicht ahnen konnte, dass einmal die Kanone erfunden wird. Die innere Stadtmauer hat um 1220/1240 eine noch ältere Stadtmauer ersetzt, die recht schwach war.

Die «Burkhardsche» (die 1. Stadtmauer)

Die älteste Stadtmauer von Basel hat Bischof Burkhard um 1080 herum erbaut. Es waren kriegerische Zeiten. Der König und spätere Kaiser Heinrich IV. musste gegen einen Gegenkönig kämpfen: gegen Rudolf von Rheinfelden. Dieser war Herzog von Schwaben. Der Bischof von Basel – eben dieser Burkhard – war ein überzeugter Parteigänger von Heinrich IV. und somit mit Rudolf von Rheinfelden verfeindet. Deshalb hat es immer wieder "gchesslet" (gekracht / es gab Streit). Es waren eben "unruhige Zeiten" wie es in einer Quelle aus jener Zeit heisst. Darum musste um 1080 herum die älteste Stadtmauer her. Es hat pressiert! Deshalb war sie eher schwach und dünn; und der Stadtgraben war nicht so tief wie jener der zweiten – der inneren – Stadtmauer. Die zweite Stadtmauer hat man später einfach ein paar Meter vor die Mauer von Bischof Burkhard gestellt. Die Mauer von Bischof Burkhard wurde bald von Häusern überbaut und ging vergessen.

... und noch mehr Mauern

Es gab aber noch weitere Stadtmauern: Bald nach dem Bau der Rheinbrücke entstand so ab 1250 das Kleinbasel. Und selbstverständlich hat man auch diese Neustadt befestigt. Doch auch entlang des Rheins auf Grossbasler Seite hat man nach und nach die ganze Rheinseite befestigt.

Wo sind die Mauern hin?

Von all diesen Stadtmauern findet man heute nicht mehr viel. Du wolltest wissen, weshalb man die Stadtmauern nicht mehr sieht? Die Antwort ist ganz einfach: Man wollte sie nicht mehr. Sie haben die Stadt eingeengt, sie haben Luft und Licht weggenommen, sie haben ganz einfach gestört. Und am Abend und in der Nacht hat man die Stadttore zugemacht, so dass niemand mehr raus oder rein konnte. Das war noch bis ins Jahr 1860 so. Was lange als sinnvoll und gut galt, war von da an nur noch lästig. Ab dem Jahr 1860 fing man deshalb an, die Stadtmauern abzubrechen.

Weshalb waren sie noch so lange da?

Doch das war eine seltsame Geschichte. Denn andere Städte in der Schweiz und über das Land hinaus fingen bereits ab den 1830er-Jahren an, ihre Stadtmauern abzubrechen. Das war bei uns aber genau die Zeit, wo zwischen Stadt und Land Unruhen ausgebrochen sind, und sich die "Landschäftler" (die Einwohner des Kantons Basel-Landschaft) anfingen zu beklagen, die Stadt verwehre ihnen politische Rechte. Das führte zu Streit und Krieg, also wieder zu "unruhigen Zeiten", wie schon unter Bischof Burkhard. Den Stadtbaslern hat all das Angst gemacht, und sie warteten sicherheitshalber noch mit dem Abriss der Mauern. Und das war ganz gut so: In der Zwischenzeit nämlich erfand man die Fotografie! Und so konnte man in den 1860er-Jahren noch tolle Fotos machen, die uns deutlich zeigen, wie die Stadtmauern zu jener Zeit ausgesehen haben.

Wo gibt es sie noch?

Doch nicht überall sind die Stadtmauern verschwunden. Das beste Beispiel findet man natürlich im "Dalbeloch", also genau hier, wo wir jetzt sind. Hier ist die Mauer mitsamt zwei halbrunden Türmen und einem hölzernen gedeckten Wehrgang sowie all ihren Zinnen und Scharten erhalten geblieben. Nur der viereckige Turm am Ende der Mauer an der Rheinseite stimmt nicht ganz: Diesen hat man vor zirka zwanzig Jahren wiederaufgebaut. Doch der andere Turm auf der Seite der Stadtgraben-Mauer ist original. Man hat ihn aber erst 1646 gebaut.

Weiter oben an der "Dalbe-Aaalag" (St. Alban-Anlage) steht das originale "Dalbedoor" (St. Albans-Tor), zirka 2 Kilometer weiter das Spalentor und nördlich am Rhein das St. Johanns-Tor. Und immer am ersten Samstag nach den Sommerferien sind die Stadttore offen und man kann sie besuchen! Ich wünsche dir viel Vergnügen, wenn du das alles einmal anschauen gehst, sei es mit der Schule oder mit deinen Eltern.

Gespräch

Anina, Schülerin an der Basler Primarschule Isaak Iselin, hat ihre Frage der Webredaktion gestellt. Der pensionierte Archäologe Christoph Matt hat sie beantwortet. Christoph Matt war langjähriger Mitarbeiter der Archäologischen Bodenforschung Basel-Stadt. Er schreibt an Band 2 (800-1270) der neuen Basler Stadtgeschichte mit. Er ist Mitglied des Vereins Basler Geschichte.