Nathalie Baumann: "Mein Name ist Nathalie Baumann und ich arbeite an Band 9 der neuen Basler Stadtgeschichte mit. Der Band wird von Esther Baur und Lina Gafner herausgegeben. Im Unterschied zu den anderen Bänden nimmt unser Band nicht eine spezielle Epoche oder einen speziellen Zeitabschnitt in den Blick: Er erzählt die Stadtgeschichte aus der Perspektive des Raums. Wir gehen davon aus, dass Raum nicht einfach gegeben ist. Raum wird vielmehr gemacht: Er wird gestaltet, er wird verwaltet, er geht von einem Besitzer an eine andere Besitzerin über, und manchmal wird er auch besetzt.
Wichtig für unseren Band sind einerseits die Grenzen. Denn durch Grenzen entsteht Raum überhaupt; Grenzen teilen Raum ein. Sie zeigen, wo eine Stadt beginnt und wo sie aufhört, und auch, wer zur Stadt dazugehört und wer nicht. Manche Personen müssen an der Grenze Gründe nennen, weshalb sie zu dieser Stadt Zugang haben möchten, wie beispielsweise die Marktfrauen aus dem Elsass am Zoll Lysbüchel, auf unserem ersten Bild. Die Frauen werden kontrolliert und müssen erläutern, weshalb sie in die Stadt Basel möchten. Das Bild zeigt gut, welche Rolle die Grenze für eine Stadt spielt; in diesem Fall ist es sogar die Landesgrenze.
Ein weiteres "Raumthema" ist die Beleuchtung in der Stadt. Denn die Beleuchtung wirkt sich massgeblich auf den Stadtraum bzw. den öffentlichen Raum aus. Von ihr hängt ab, wie man sich in einer Stadt bewegt oder wie man in einer Stadt arbeitet. Sie eröffnet aber auch neue Fragen: Wer zum Beispiel darf sich wann in der Stadt bewegen? Bei wem ist es verpönt? Wer hat Zugang zu welchen Räumen? Und wer ist doch angehalten, zuhause zu bleiben? Eine ganz wichtige Frage, die hier anknüpft, ist die Frage nach der Polizei- oder Sperrstunde. Denn irgendwie muss man in einer Stadt reglementieren, dass die Nacht nicht plötzlich zum Tag wird.
Ein weiteres Thema, das uns in diesem Band umtreibt, ist die Frage, wem die Stadt eigentlich gehört. Man kann sich gut vorstellen, wie umstritten diese Frage ist. Es ist ein konfliktbeladenes Thema, zu dem es zahlreiche verschiedene Meinungen gibt. Im Grunde genommen ist es erstaunlich, dass es nicht noch mehr Konflikte im Stadtraum gibt; wenn man bedenkt, wie viele unterschiedliche Bedürfnisse hier zusammenkommen, was alles ausgehandelt werden muss, was für unterschiedliche Vorstellungen man vom Stadtraum oder von bestimmten Teilen der Stadt hat.
Dann möchte ich einen letzten Punkt erwähnen, der in unserem Band eine wichtige Rolle spielt: Die Wahrnehmung oder das Erleben einer Stadt. Es ist wohl die individuellste Perspektive auf den Raum. Hierzu möchte ich ein ganz spezielles Beispiel – und eine schöne Entdeckung – zitieren. Die Stadt Basel wirkte nämlich ganz speziell auf Kurt Schwitters, den Dada-Künstler, der ihr 1935 ein Gedicht widmete:
Es geht ein bisschen rauf,
es geht ein bisschen runter,
dazwischen fließt der Rhein.
Grün soll das Wasser sein.
Wenn's regnet stürmt und schneit,
dann ist es braun,
braun anzuschaun.
Verhältnismäßig drückend föhnt der Föhn,
es brodelt tief im Grunde,
darüber eine Stadt,
die Basels Name trägt und hat.
Dort lint es Böck,
dort beint es Hol,
es waldet grün und witzt.
Der Ritter sticht den Wurm,
am Turm.
Die Kirche aus Zement
ist Mosers hohe Zeit.
Es brennt,
wenn's brennt,
im Kleid.
Der Frauen holder Chor
lächelt dem Tor.
Mann,
sieh dich vor!"