«Wie kam in Basel eigentlich die "Modernigkeit" ins Spiel?

... fragte Nik bei unserem Besuch in der Basler Primarschule Isaak Iselin. Isabel Koellreuter und Franziska Schürch geben Antwort. Sie sind Autorinnen von Band 6 der neuen Basler Stadtgeschichte. In diesem Band geht es um die Zeit zwischen 1856 und 1914. Eine Zeit, in der in Basel in wenigen Jahren sehr viel passiert.

Eine Frage, die alle beschäftigt

Isabel Koellreuter: Lieber Nik, du fragst, wie die "Modernigkeit" nach Basel gekommen ist? Damit meinst du wahrscheinlich, wie neue Sachen und neue Ideen nach Basel gekommen sind? Das ist eine der zentralen Fragen der Geschichte. Wie es zu Veränderung und zu Erneuerung kommt, beschäftigt uns alle: Sowohl die Autorinnen und Autoren, die sich mit der Ur- und Frühgeschichte beschäftigen als auch diejenigen, die über die jüngste Geschichte nachdenken.

Erneuerung findet zu jeder Zeit statt. Manchmal kommt Neues von aussen, manchmal kommt Neues auch von innen. Meistens lässt es sich aber gar nicht so genau sagen, woher das Neue kommt, weil ganz viele Leute dazu beigetragen haben.

Franziska Schürch: Deine Frage ist bei uns im Band 6 gelandet. Das ist so, weil wir es in diesem Band mit einer Zeit zu tun haben, in der sich in ganz kurzer Zeit enorm viel geändert hat. Es ist die Zeit zwischen 1859 und 1914.

Wir nehmen dich mit an zwei Orte in der Stadt, die von solchen Veränderungen erzählen. Als erstes sind wir hier am Elisabethen-Bollwerk. Später gehen wir zum Bahnhof SBB und danach an einen besonderen Ort an der Rittergasse.

Die Stadtmauer geht ...

Lieber Nik, stell Dir einmal vor: Am Anfang unserer Epoche, also um 1859, gab es um die Stadt herum noch eine Mauer! Wir stehen hier bei einem Überrest der Mauer, beim Bollwerk. Jeden Abend wurden die Stadttore geschlossen und am Morgen wieder geöffnet. Basel war damals recht klein: Nur rund 30'000 Leute haben innerhalb der Stadtmauer gewohnt. Das sind weniger Leute als heute im "Joggeli" - im Fussballstadion St. Jakob - Platz haben!

Stadtplan von 1862 (Geoportal Kanton Basel-Stadt).

Stadtplan von 1905 (Geoportal Kanton Basel-Stadt).

1914, bevor der Erste Weltkrieg ausbrach, war die Stadt dann mehr als viermal so gross! Über 130'000 Personen wohnten zu diesem Zeitpunkt in Basel. Stell dir vor: Innerhalb von nur 15 Jahren kamen 100'000 Leute nach Basel! Alle diese Menschen hätten innerhalb dieser kleinen ummauerten Kernstadt keinen Platz gehabt. Dazu musste die Mauer weg! Sie wurde abgerissen. So wurde Basel offener, auch für neue Ideen.

Eisenbahn, um 1890
Blick von der Steinengrabenbrücke auf das Steinentor und das Bollwerk, 1866 (© Staatsarchiv Basel-Stadt).

... und die Eisenbahn kommt

Franziska Schürch: Dieser grosse Umbruch, diese Bewegung in unserem Zeitraum, war besonders hier in der Nähe gut sichtbar: am Bahnhof SBB. Die Eisenbahn wurde in unserer Zeit nach allen Seiten hin ausgebaut, und so kamen die Menschen auch von verschiedenen Seiten her nach Basel.

Deshalb, glauben wir, können wir zu deiner Frage folgendes sagen: Die "Modernigkeit", oder die Erneuerung, kam in unserem Zeitraum zu einem Teil mit der Eisenbahn nach Basel. Die Eisenbahn vernetzte Basel mit der ganzen Welt. Sie brachte damit einen schnelleren und grösseren Austausch. Mit ihr kamen viele neue Menschen mit neuen Ideen, neuen Hoffnungen und neuen Bedürfnissen.

Eisenbahn, um 1890
Missionsstrasse mit Bahnübergang der Eisenbahn Mulhouse-Bâle, um 1890 (© Staatsarchiv Basel-Stadt).

Schulhäuser: Das Modernste vom Modernen!

Isabel Koellreuter: Nun möchten wir Dir einen weiteren Ort zeigen, an dem in unserem Zeitraum etwas ganz grundsätzlich neu wurde und damit modern: das Schulhaus an der Rittergasse. Nun fragst du dich wahrscheinlich, was Schulhäuser mit "Modernigkeit" zu tun haben sollen?

In unserer Zeit sind die Schulhäuser so in etwa das, was für uns heute die Roche-Türme sind: Das Modernste vom Modernen! Im 19. Jahrhundert wurden überall, in der ganzen Stadt, Schulhäuser gebaut. Diese Schulhäuser wurden nach den neusten Erkenntnissen konstruiert: Die Architekten und Ingenieure rechneten sogar aus, wie viel Luft es im Raum pro Schüler und Schülerin braucht! Für diese Schulhäuser gab der Kanton richtig viel Geld aus: Millionen!

Franziska Schürch: Dass für Schulen so viel Geld ausgegeben wurde, hängt mit mehreren Dingen zusammen:

  • Es gab plötzlich viel mehr Menschen in Basel und damit auch mehr Kinder.
  • Die Schule wurde neu obligatorisch: Alle Kinder mussten mindestens acht Jahre lang zur Schule gehen.
  • Das Schulgeld wurde abgeschafft. So konnten auch Kinder aus ärmeren Familien zur Schule gehen.
  • Erwachsene haben Kinder ganz anders wahrgenommen: Kinder waren nicht länger "kleine Erwachsene", die arbeiten gehen mussten, um Geld für die Familie zu verdienen. Die Kinderarbeit wurde abgeschafft. Von nun an war die Kindheit eine Zeit, in der Kinder lernen und ihre eigene Persönlichkeit entwickeln konnten.

Primarschule Rittergasse (© Roman Weyeneth).

Primarschule Rittergasse (© Roman Weyeneth).

Primarschule Rittergasse (© Roman Weyeneth).

Primarschule Rittergasse (© Roman Weyeneth).

Franziska Schürch: Die Idee für eine "Schule für alle" kam von verschiedenen Seiten: Von Wissenschaftlern, von Lehrern, von Politikern – aus dem Ausland, aus anderen Schweizer Regionen. In Basel diskutierte und stritt man erst einmal tüchtig darüber, bis dann tatsächlich gebaut wurde. Es dauerte also ein wenig, bis diese neuen Ideen umgesetzt wurden, auf eine Art und Weise, wie es für Basel passte.

Lieber Nik, wir hoffen, dass wir Dir mit unseren Beispielen zeigen konnten, wie Neues nach Basel kam, wie es entstand, und dass ganz viele verschiedene Leute von hier und auch von ausserhalb dazu beigetragen haben.

Quellen

Slider 1: Stadtplan von 1862 und 1905: Geoportal Kanton Basel-Stadt, 07.12.2021.

Abb. 2: Steinentor und Bollwerk, 1866: Staatsarchiv Basel-Stadt, AL 45, 4-98-1.

Abb. 3: Missionsstrasse mit Bahnübergang, um 1890: Staatsarchiv Basel-Stadt, BILD 3, 1862.

Slider 4: Primarschule Rittergasse: fotografie roman weyeneth.

Autorinnen

Franziska Schürch studierte Theaterwissenschaft, Kulturwissenschaft und Musikwissenschaft. Es folgten Lehr- und Forschungsaufträge und die wissenschaftliche Leitung des Inventars des kulinarischen Erbes der Schweiz. Isabel Koellreuter studierte Geschichte, Kunstwissenschaft und Volkswirtschaftslehre. Seither ist sie als freiberufliche Historikerin an der Ausarbeitung verschiedener Ausstellungen, Lehrgänge und Publikationen beteiligt. Die beiden sind Autorinnen von Band 6 und 7 der neuen Basler Stadtgeschichte.

 

In ihrem 2010 gegründeten Büro "Schürch & Koellreuter. Kulturwissenschaft und Geschichte" entstehen vielfältige Projekte zur Vermittlung von Geschichte und Kultur an ein breites Publikum.