Marktplatz, 1914. Fotograf unbekannt. Staatsarchiv Basel-Stadt, Abl. 2015/22 4

Staatsarchiv Basel-Stadt

Bürger putzen Basel

Text: Daniel Hagmann

Am 12. November 1918 standen in der ganzen Schweiz die Räder still: Der schweizerische Landesstreik begann. Auch in Basel blieben Fabriken und Verwaltungen geschlossen, rollten Trams nicht mehr. Um das befürchtete Chaos in Grenzen zu halten, riefen Private zur Selbsthilfe auf. In Basel lud am Vorabend des Landesstreiks ein bürgerliches Aktionskomitee zu einer gut besuchten Versammlung im Musiksaal des Stadtcasinos ein. Traktandiert war die Gründung einer Bürgerwehr. Diese sollte die Geschäftsinhaber schützen, die Grundversorgung durch die öffentlichen Betriebe sicherstellen und die sozialdemokratischen Jungburschen in Zaum halten. Die Bürgerwehr verstand sich als politisch und konfessionell neutral. Militärische Aufgaben besass sie nicht, und offiziell auch keine Waffen. Dafür arbeitete die Bürgerwehr eng mit staatlichen Instanzen und mit dem militärischen Kommando zusammen. Zudem baute sie auch einen eigenen Nachrichtendienst auf.

Postkarte eines Bürgerwehrmitglieds, 1919. Staatsarchiv Basel-Stadt, PA 370b (2) 1-2
Postkarte eines Bürgerwehrmitglieds, 1919. Staatsarchiv Basel-Stadt, PA 370b (2) 1-2

Symbolische Säuberungen

Als es im Sommer 1919 in Basel erneut zu einem Generalstreik kam, war die Bürgerwehr schlecht vorbereitet. In der Öffentlichkeit trat sie vor allem in Erscheinung beim Einsammeln des Hausabfalls und als Strassenwischer. An der Fasnacht im Folgejahr kursierten dann entsprechend wenig schmeichelhafte Spottverse:

««Dr Generalstreick sälber

het lang kai so Theater g’macht

Wie d‘ Bürgerslyt, die Kälber.

Und die wo sunscht in Lack und Frack

Uf’m Gellert umeglunke

Hän do mit jedem Commis jetz

Uf eimol Schmollis trunke.»

Eher unbemerkt blieb die Überwachungstätigkeit der Bürgerwehr. Kreisweise organisiert kontrollierten Späher ganze Strassenzüge und verdächtige Treffpunkte der Streikenden, notierten in Rapporten die Bewegungen mutmasslicher Anführer und deren Reden im Volkshaus. Parallel zum Schulterschluss der bürgerlichen Parteien im sogenannten nationalen Block inszenierte sich die Bürgerwehr als bürgerlich-patriotischer Schutzwall gegen die revolutionäre Gefahr. «Zum Reinigen der Strassen, den Besen in der Hand, zum Trotz der Streikenden, zur Ehr dem Vaterland!», schrieb ein Bürgerwehrmitglied 1919 stolz auf eine Fotografie, die ihn im Einsatz zeigte.

Netzwerke im Verborgenen

So öffentlichkeitswirksam wie 1918 und 1919 trat die Basler Bürgerwehr in den Folgejahrzehnten nicht mehr in Erscheinung. Aber sie hielt ihre Organisation aufrecht, beobachtete und kommentierte alles, was sie als Angriff auf die bürgerliche Ordnung empfand. Bis in die 1920er-Jahre hinein erwartete man den Feind aus der linken Ecke. Später erkannte die Bürgerwehr auch die Gefahr, die von faschistischen Gruppierungen drohte.

Das Privatarchiv PA 370 b im Staatsarchiv Basel-Stadt, das zahlreiche Unterlagen zur Basler Bürgerwehr enthält, dokumentiert den Aufbau und die Finanzierung der Bürgerwehr. Die Unterlagen belegen, wie diese Organisation sowohl in den gutbetuchten Kreisen wie im mittelständischen Bürgertum verankert war. 1941 benannte sich der Verein in «Vaterländischen Hilfsdienst» um. Sein Vermögen wurde 1966 in eine Stiftung überführt, die fortan wiederholt bürgerliche Bewegungen bei Wahlen und Abstimmungen unterstützte.

Legendenbildung

1984, in den Debatten über Kernenergie und Kaiseraugst, kursierte in den Medien plötzlich der unbewiesene Verdacht, die Bürgerwehr drohe aus den Überresten des Vaterländischen Vereins wiederaufzustehen. In der linken Erinnerungskultur hatte sich der besenschwingende Saubermann offenbar als unheimliche Grösse erhalten. Umgekehrt blieb in der bürgerlichen Erinnerungskultur die Figur des patriotischen Helden unhinterfragt. Ein geeintes «Bürgertum» gab es 1919 nur in der Propaganda, in der Abgrenzung gegen den Feind von links und von aussen. Welche Rolle spielten diese Bilder wohl für die Säuberungen der Nachkriegszeit, wo in Basel mit den Sympathisanten des Faschismus abgerechnet wurde? Und im Kalten Krieg, als die kommunistische Gefahr am Pranger stand?

Autor

Daniel Hagmann, Mitglied Verein Basler Geschichte.

Historiker, Erinnerungspfleger, Mitarbeiter am Staatsarchiv Basel-Stadt
Interessen: Regionalgeschichte, Biografie, Erinnerung, Identität, Visual history

Quellen

Robert Labhardt. Krieg und Krise Basel 1914-1918. Serie : Beiträge zur Basler Geschichte. Basel: Merian Verlag. 2014