Aussen Kriegsspuren - innen Stadtgeschichte

Text: Tobias Ehrenbold

Vor 75 Jahren schlugen amerikanische Bomben bei der Baufirma Rapp ein. Das Büro im Gundeli brannte nieder, gerettet wurde wenig mehr als eine kleine Box. Der Russ an ihrer Hülle bezeugt den Zweiten Weltkrieg, die Zettel darin einen vergleichslosen Wachstumsschub der Stadt Basel.

Bomben auf Basel

"Es war an einem Sonntagmorgen. Kurz nach 10 Uhr flog aus Richtung Nord-Nordost ein amerikanisches Bombergeschwader heran, das unsere Stadt mit irgendeinem feindlichen Ziel verwechselt hatte, und warf über dem Gebiet des Güterbahnhofes Wolf etwa 40 bis 50 Sprengbomben im Gewicht von 250 Kilo und über dem Gundeldingerquartier weit über 2000 Stabbrandbomben ab."

So schilderten die Basler Nachrichten jenen Tag, der die Stadt kurzzeitig in Schockstarre versetzte. Im Gundeli, schrieb der Lokalreporter weiter, hätten ein gutes Dutzend Brände gewütet, etwa 100 Menschen wurden verletzt, ein Knabe verlor ein Auge. Wie durch ein Wunder ist am 4. März 1945 niemand tödlich verletzt worden in Basel. Nicht so wie in Zürich, wo gleichentags bei einem Bombardement fünf Menschen das Leben verloren hatten. Nicht so wie kurz vor Weihnachten 1940, als Bomben der Royal Air Force in Basel und Binningen vier Tote forderten.

Bombardement Basel, 1945
Bombeneinschlag in Basel, von Riehen aus fotografiert (schwarze Punkte sind Defekte im Negativ) (© Dokumentationsstelle Riehen).

Was retten, wenn es brennt?

Zu den Geschädigten zählte 1945 das Baugeschäft Rapp. Die von den Brüdern Wilhelm (1867-1949) und Joachim Rapp (1870-1958) geführten Büros an der Hochstrasse brannten an jenem Sonntagmorgen ebenso wie die benachbarte Villa der Familie.

"Unsere Liegenschaften waren von Brandbomben übersät", hielt Joachim Rapp in seinen Lebenserinnerungen fest. Er selbst hatte sich bei Löscharbeiten im Gesicht versengt: "glücklicherweise waren die Augen durch die Brille geschützt". Auf einer Fotografie sieht man, wie hilflos die Gebrüder Rapp diesen Tag über sich ergehen lassen mussten. Neben den beiden Patrons steht der Basler Regierungs- und Ständerat Gustav Wenk (1884-1956). Was die besorgt dreinblickenden Herren gesehen haben, zeigen andere Schnappschüsse: Flammen züngeln aus den Fenstern, dunkle Rauchwolken steigen in den Himmel, Hilfskräfte retten, was zu retten ist.

Leuchtgeschosse Riehen, 1945
Leuchtgeschosse erhellen den Himmel über Riehen (© Dokumentationsstelle Riehen).

Die Pläne! Die Pläne!

Da die Angestellten sonntags frei hatten, galt die Aufmerksamkeit dem Hab und Gut. Vielleicht haben die Gebrüder Rapp der ausgerückten Luftschutzmannschaft zugeraunt: "Die Pläne! Holt die Pläne!" Auf jeden Fall sieht man auf den Bildern, wie uniformierte Männer Stapel um Stapel aus den brennenden Büros tragen. Ein Rettungsarbeiter raucht dabei nonchalant eine Zigarette.

Hunderte Dokumente mussten dem Feuer überlassen werden. Den Wert der vernichteten Unterlagen bezifferte ein Versicherungsexperte später auf 395'803 Schweizerfranken und 90 Rappen. Die in diesem Gutachten hochgerechnete Arbeitsleistung entspräche heute ungefähr 2 Millionen Franken – aber solche historischen Kalkulationen sind nie genau, und vor allem stand damals mehr auf dem Spiel als Geld. Die Familie Rapp musste sich fragen, wie es mit dem Unternehmen weitergehen soll.

Bombardement Rapp, 1945
Von rechts nach links: Wilhelm und Joachim Rapp, "A. Linder", Inspektor Gas- und Wasserwerk Basel, und Gustav Wenk (© Firmenarchiv Rapp).
Brand Firmengebäude Rapp, 1945
Vor den Flammen gerettet: Eine Handvoll Dokumente und die Kundenkartei (© Firmenarchiv Rapp).
Villa Rapp, 1945
Die ausgebrannte Villa der Familie Rapp an der Tellstrasse (© Staatsarchiv Basel-Stadt).

Das Gerippe einer Stadt

"Die Lage war für uns niederschmetternd", resümierte der Ingenieur Joachim Rapp nach dem "furchtbaren 4. März 1945." Wenigstens hatten die Rettungskräfte an jenem Sonntagmorgen einen historischen Schatz geborgen: die Kundenkartei der Firma. An den Kärtchen sind die Bergungsarbeiten nicht spurlos vorbeigegangen: Die Ränder sind vom Wasser stumpf geworden, die Abdrücke der Schreibmaschine verblasst, verlaufen, verschwommen.

Doch die Zeichen auf den Karteikärtchen sind lesbar. Das älteste der aufgelisteten Bauprojekte datiert 1874, das jüngste 1943, in den dazwischenliegenden Jahren entwickelte sich Basel zur Grossstadt. Die Wohnbevölkerung vervielfachte sich von etwa 45'000 auf gut 160'000. Ganze Quartiere mussten neu gebaut, hygienische Missstände behoben, die Verkehrswege für die aufkommenden Trams und Autos gelegt werden. Rapp war an diesem Prozess unmittelbar beteiligt. Die angekohlte Kundenkartei ist daher nicht nur eine Art Gedächtnis der Firma, sondern ein einmaliges Zeugnis der Urbanisierung und Modernisierung der Rheinstadt.

Fast alle der verzeichneten Projekte sind nach 1896 entstanden. Es ist das Jahr in dem die Brüder Wilhelm und Joachim das Geschäft von ihrem Vater, dem aus Deutschland eingewanderten Joachim Rapp senior (1825-1897), übernommen hatten. Neben dem angestammten Tiefbau erwarb sich das Familienunternehmen fortan als Ingenieurbüro einen guten Ruf. Der Name Rapp stand für jene Infrastruktur, die das wachsende Basel so dringend benötigte: Bahngleise und Strassen, Masten und Pumpen, Wasserleitungen und Abwasserrohre.

Kundenkartei Firma Rapp, 1945
Die Kundenkartei steht heute im Foyer des Firmenhauptsitzes Rapp an der Hochstrasse (© Firmenarchiv Rapp).

Kunden als Netzwerk

Die angesengte Kundenkartei hat Symbolkraft. Sie steht nicht nur für die Vergangenheit der Firma Rapp, sondern auch für deren Zukunft. Die Kärtchen in der Box verweisen auf das Netzwerk, das es Rapp ermöglichte, sich vom Kriegsschock zu erholen: Die Kunden blieben Rapp weitgehend treu, die wichtigsten waren die Stadt und die umliegenden Gemeinden, die SBB und die Basler Chemie. Das Geschäft von Rapp ging weiter. Es galt, die verschiedenen Baustellen fertig zu bringen und neue Aufträge zu akquirieren. Provisorisch kamen die Angestellten an der Rittergasse unter.

Bereits 1946 baute Rapp an der Stelle des niedergebrannten Gebäudes neue Büros. Mit dem Wirtschaftsboom der Nachkriegszeit wuchs das Familienunternehmen zu neuer Grösse. Der Autobahnbau wurde bald zu einem wichtigen Geschäftsfeld, später die Wärmetechnik und Kläranlagen, zuletzt Mautsysteme und Generalplanungen. Heute beschäftigt Rapp gegen 500 Personen. Der Sitz des Unternehmens liegt immer noch an der Hochstrasse. Genau dort, wo der Zweite Weltkrieg an einem Sonntagmorgen Spuren hinterlassen hat an der Kundenkartei. Angesengt, aber ansonsten intakt, so steht sie da, die kleine Box. Mit Basler Baugeschichte in ihrem Leib und eine Spur Weltgeschichte an ihrer Haut. Das Objekt ist Zeitzeuge.

Quellen

Gustav Steiner: Joachim Rapp (1870-1958). In: Basler Stadtbuch 1960, S. 123-134.

Abb. 1: Bombeneinschlag in Basel, von Riehen aus fotografiert: E. Roth, Dokumentationsstelle Riehen, RIE B.1 08011-00.

Abb. 2: Leuchtgeschosse über Riehen: E. Roth, Dokumentationsstelle Riehen, RIE B.1 08012-00.

Abb. 3: Gebrüder Rapp mit Gustav Wenk: Firmenarchiv Rapp.

Abb. 4: Brand Firmengebäude Rapp: Firmenarchiv Rapp.

Abb. 5: Ausgebrannte Villa Familie Rapp: Staatsarchiv Basel-Stadt, Fotoarchiv Wolf, NEG 9865.

Abb. 6: Kundenkartei: Firmenarchiv Rapp.

Autor

Tobias Ehrenbold studierte Kulturwissenschaften und Geschichte in Basel, Boston und Luzern. Seit 2012 ist er freiberuflich in verschiedenen Kulturprojekten tätig. Er ist Mitglied des Vereins Basler Geschichte.