Ein Kraftwerk als Biotop

Text: Dorothee Huber

Bis zu 2.05 Gigawattstunden Strom produzieren die vier Turbinen im Kraftwerk Birsfelden täglich. Oder wie das Unternehmen stolz vermerkt: Genug, um mit einem 600 Tonnen schweren Zug drei Mal um die Erde zu fahren. Doch das Kraftwerk Birsfelden steht nicht nur für herausragende Ingenieurtechnik. Es ist Zeugnis populärer Baukunst der Schweizer Nachkriegszeit, ein gefragter Vermittlungsort für die Öffentlichkeit und durch die sorgsame Integration in die Landschaft eines der beliebtesten Ausflugsziele rund um Basel.

Ein Kraftwerk nahe der Birsmündung

Die Planung eines Grosskraftwerks am Hochrhein oberhalb von Basel reicht in die Zeit um 1880 zurück. Allerdings erschwerte der Ausbau der Infrastrukturanlagen des Rangierbahnhofs Muttenz (1931), der Rheinhäfen Birsfelden und Au (1936-1941) und des internationalen Flughafens Birsfelden-Sternenfeld (in Betrieb 1923-1949) den Bau des Kraftwerks im Grenzbereich der beiden Halbkantone und des Landes Baden-Württemberg. Deshalb reichten die Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft erst 1942 beim Bundesrat und den Badischen Behörden ein Konzessionsgesuch für ein Niederdruckkraftwerk oberhalb der Birsmündung ein.

Die politischen und ingenieurtechnischen Herausforderungen des Bauvorhabens waren beträchtlich. Die Bevölkerung beschäftigte hingegen vor allem die Frage, wie sich das Bauwerk in das vertraute Bild der Stadt und ihrer Umgebung einfügen lasse. Der "ungestörte Blick von der Pfalz" beziehungsweise die freie Sicht über die Stadt auf den "Hornfelsen" bei Grenzach war lange Zeit oberstes Gebot.

Werkarbeiten im Kraftwerk Birsfelden am 23. April 1951 (© Staatsarchiv Basel-Stadt).

Ein Schauhaus der Stromproduktion

Als Vertrauensarchitekt des Schweizerischen Heimatschutzes beriet Hans Hofmann (1897-1957) die Betreiber des Kraftwerks seit den Anfängen der Planung. Hofmann hatte sich als Chefarchitekt der Landesausstellung in Zürich 1939 – der legendären "Landi" – in weiten Kreisen der Bevölkerung einen Namen gemacht. Seine verbindliche Art, seine Auffassung von Architektur als Baukunst, und sein Eintreten für den Landschaftsschutz empfahlen ihn über seine Beraterfunktion hinaus als Architekten für diese sensible Aufgabe.

Hofmanns Anliegen war es, ein "anschauliches" Kraftwerk zu bauen. Er meinte damit ein Kraftwerk, in dem sich die Stromproduktion für die Bevölkerung nachvollziehen lässt. Zu diesem Zweck führte er einen Fussweg entlang der Wehrbauten und des Turbinenhauses von der Kleinbasler Uferseite zum Birsfelder Sternenfeld. Von dort blicken Besucher*innen auf den Stausee, die den Wasserstand regelnde "Staustufe" und das nach unten tosende Wasser.

Die grosszügig verglaste Halle gibt den Blick frei auf die vier Turbinen und die Kranbahn, mit der die Turbinen angehoben und gewartet werden können. Die Farbe Blau kennzeichnet jene Geräte, die mit Wasser zu tun haben, Gelb die Geräte, die mit Strom in Verbindung stehen, und Rot die Gefahrenzonen. Der Weg führt weiter vorbei am Betriebsgebäude, dem Schalthaus und dem Pumpenhaus zur Schleusenanlage für die grossen Schleppkähne auf ihrem Weg von Rotterdam zu den Rheinhäfen von Birsfelden und Muttenz.

Die MS Rheinfelden passiert am 12. November 1954 als erstes Schiff die Schleuse (© Staatsarchiv Basel-Stadt).

Im Sinne eines lebendigen Heimatschutzes

Mit Rücksicht auf die Landschaft entwarf Hofmann eine in einzelne Bauten aufgegliederte Anlage, wobei die Turbinenhalle als grösstes Gebäude besonders leicht und durchlässig erscheinen sollte. Die gegabelten Betonstützen, das scheinbar leicht aufruhende Faltdach und der Einsatz von weisser Farbe für die Fenster sowie eines grünen Anstrichs für den Beton vermitteln den Eindruck einer "freundlichen" Architektur, aber auch den Stolz auf die leistungsfähige Schweizer Elektrizitätsindustrie.

Nachts strahlt die Turbinenhalle kunstvoll ausgeleuchtet als weithin sichtbares Zeichen des technischen Fortschritts. Was sich an der "Landi" als grundlegend neue schweizerische Architektur bewährt hatte, die gekonnte zwischen radikaler und gemässigter Modernität balanciert, war auch in der Nachkriegszeit ein verlässlicher Ansatz für populäre Baukunst.

In Zusammenarbeit mit dem Basler Stadtgärtner Richard Arioli (1905-1994) entwarf Hofmann eine neue Uferlandschaft, die mit dem Stausee und der Kraftwerkinsel den Spaziergänger*innen und Wasserfahrer*innen neue Möglichkeiten eröffnete. "Strom-Landschaft" und "Stadt-Landschaft" gingen beim Kraftwerk Birsfelden eine besonders glückliche Verbindung ein. Und so zählt das Kraftwerk nach wie vor zu den beliebtesten Ausflugszielen rund um Basel.

Der Führer von Dorothee Huber zeigt, wie sich die Entwicklung der heutigen Stadt Basel in ihren Bauten spiegelt. Er enthält Grundrisspläne, Namens- und Ortsregister und Stadtpläne sowie Porträts bedeutender Architekten und Baumeister. Erschienen ist das Buch 2014 im Christoph Merian Verlag.

Quellen

Christoph Merian Stiftung, S AM Schweizerisches Architekturmuseum (Hrsg.), Architekturführer Basel. Die Baugeschichte der Stadt und ihrer Umgebung (Basel 2014).

Abb. 1: Werkarbeiten im Kraftwerk Birsfelden am 23. April 1951, Staatsarchiv Basel-Stadt, Fotoarchiv Hans Bertolf, BSL 1013 1-337 1.

Abb. 2: Die MS Rheinfelden passiert am 12. November 1954 als erstes Schiff die Schleuse. Staatsarchiv Basel-Stadt, Fotoarchiv Hans Bertolf, BSL 1013 1-656 1.

Abb. 3 (Slider): Blick von der Schwarzwaldbrücke auf das Kraftwerk Birsfelden, © Sabina Lutz, 2020.

Abb. 4 (Slider): Blick auf das Kraftwerk vom Birsfelder Ufer, © Sabina Lutz, 2020.

Abb. 5 (Slider): Blick auf die Schleuse in Richtung «Hornfelsen» bei Grenzach, © Sabina Lutz, 2020.

Abb. 6 (Slider): Blick auf die Schleuse in Richtung Basel, © Sabina Lutz, 2020.

Abb. 7 und 8 (Slider): Fussweg entlang der Wehrbauten und des Turbinenhauses, © Sabina Lutz, 2020.

Autorin

Dorothee Huber studierte Kunstgeschichte an der Universität Basel. Sie arbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Museum Basel, am Lehrstuhl für Kunstgeschichte der ETH Zürich, am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur gta der ETH Zürich und am Architekturmuseum Basel. Bis zur ihrer Pensionierung 2017 war sie Dozentin für Architekturgeschichte am Institut Architektur der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW. Sie ist Mitglied des Vereins Basler Geschichte.