Im "Pfäffiloch"

Text: Robert Labhardt

Die Geschichte um das Pfäffiloch erzählt davon, wie Stadt und Bahn miteinander um die Gestaltung des öffentlichen Stadt- und Verkehrsraums kämpften. Die Geleise der Bahn und die Strassen der Stadt mussten von der Konkurrenz zum Miteinander gebracht werden.

Heute zugemauert erinnert das „Pfäffiloch“ an Basels Konflikte mit der Centralbahn um die Anbindung des Gundeldingerquartiers an die Innenstadt. (Foto: Robert Labhardt, 2019).
Heute zugemauert erinnert das „Pfäffiloch“ an Basels Konflikte mit der Centralbahn um die Anbindung des Gundeldingerquartiers an die Innenstadt. (Foto: Robert Labhardt, 2019).

Eine geheimnisvolle Nische

Das Gundeldingerquartier liegt topfeben. Nur an einer einzigen Stelle senkt sich das Gelände: die Pfeffingerstrasse neigt sich nach der Durchquerung der Güterstrasse plötzlich abwärts und findet unvermittelt vor einer drei Meter hohen, hässlichen Mauer ihr schroffes Ende. Die Heftigkeit dieses Zusammenpralls von Mauer und Strasse wird abgemildert durch einen Brunnen und zwei der Mauer entlang abzweigende Strassen, die umständlich einen Anschluss zur Hochstrasse und zur Peter Merian-Brücke herstellen. Und hinter der Mauer? Die Bahngeleise der SBB. Wir befinden uns am tiefsten Punkt der Gundeldingerquartiers, dem so genannten "Pfäffiloch. Der Name verweist auf eine zugemauerte Unterführung, die einst unter der Bahn durchführte und sich an der Mauer mit hellen Steinen noch angedeutet findet. Was hat es mit dieser bizarren städtebaulichen Nische auf sich?

Ein Angstloch für Frauen und Schulkinder

Seit 1860 steht der Basler "Centralbahnhof" an seinem jetzigen Ort. 1872 wurde das Gundeldingerquartier von einem deutsch-baslerischen Finanzkonsortium "gegründet". Das neue Quartier fühlte sich von der Innenstadt abgeriegelt. Nur einige ebenerdige, unbewachte "Niveauübergänge" über die anfangs noch schmalen Geleise gewährten Fussgängern und Fuhrwerken den nicht ungefährlichen Zugang zur Stadt. Je mehr Linien die Schweizerische Centralbahn – damals noch eine private Gesellschaft – eröffnete und je mehr das Gundeldingerquartier sich entwickelte, desto konfliktanfälliger und gefährlicher wurde die Beziehung zwischen Stadtverkehr und Bahn. Blockaden an den Bahnübergängen und Unfälle häuften sich. Die SCB verlagerte den Güterverkehr auf den Wolf und gestand – nach einem tödlichen Unfall beim Übergang Pfeffingerstrasse - dem Quartier neben der Münchensteinerbrücke schliesslich eine Unterführung in Fortsetzung der Pfeffingerstrasse zur Nauenstrasse zu. So entstand 1881 das "Pfäffiloch". Es war kein Tunnel, eher eine gegen oben halbwegs offene Schneise, 60 Meter lang, dunkel, schmutzig, feucht und stinkend von Schlamm und Pferdekot. Eine Zumutung für die Passanten, ein Angstloch für Frauen und Schulkinder.

Gundeldingen fordert eine sichere Lösung

Früh schon protestierte der Quartierverein Gundeldingen und forderte jene Lösung, die Kantonsbaumeister Merian von Anfang an vorgeschlagen hatte: Die Tieferlegung der Bahn auf der gesamten Strecke zwischen Münchensteinerbrücke und Elsässergrenze, so dass die Stadtanbindung der neuen Aussenquartiere mit verkehrsgerechten Strassen und Brücken gelöst werden könnte. Aber die SCB weigerte sich. Sie stand als Privatbahn unter grossem Konkurrenzdruck und hatte in den siebziger Jahren, als alle Privatbahnen um möglichst lukrative Bahnlinien, vor allem Richtung Gotthard, wetteiferten, eben ihre grösste Finanzkrise überstanden. Sie sah sich nicht verpflichtet, den Städten ihre Quartierentwicklungsprojekte zu finanzieren.

Die Bahn wird abgesenkt

Der Grosse Rat aber vertrat ultimativ die Meinung: "In der Stadt muss die Bahn der Strasse weichen!". Eine Ratsminderheit, liberale Grossaktionäre der SCB, verteidigte die Interessen der Bahn. Jahre, ja Jahrzehnte zog sich der Streit hin, hüben und drüben mit Experten und Expertisen, bald verhandlungsbereit, bald auf Konfrontation. Intensiv lobbyierte der Regierungsrat beim Bundesrat, unter dessen Aufsicht die Bahn stand. Und tatsächlich – man wagte es in Basel schon fast nicht mehr zu glauben – Ende März 1896 wies der Bundesrat die SCB-Direktion an, die Planung einer Tieferlegung der Bahn auf Basels Stadtgebiet an die Hand zu nehmen. Um 2.70 Meter wurde die Bahn und der neue Bahnhof SBB (Bauzeit 1902-1907) schliesslich abgesenkt und die Elsässerlinie nach Westen verlegt. Die 2.70 Meter aber waren ein bis zuletzt zentimeterweise umfeilschter Kompromiss, mit dem wir heute noch leben. Unter der Peter Merian-Brücke allerdings müssen die modernen Züge heute ihr Tempo drosseln: Die Geleise sind zu wenig tief …

Autor

Robert Labhardt (Dr. phil. I) ist ehemaliger Gymnasiallehrer und Geschichtsdidaktiker und verfasste diverse Publikationen zur Basler Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Heute präsidiert er den Verein Basler Geschichte, dessen Mitglieder für die Webseite Stadt.Geschichte.Basel zahlreiche Beiträge verfassten.

Quellen

Plüss, Margrit: Aus den Anfängen des Gundeldingerquartiers. Basler Stadtbuch 1967, S. 82 – 88.

Staatsarchiv des Kantons Basel-Stadt:

- AHA Bau O 13 (Heumattstrasse, Pfeffingerstrasse)

- PA 1202a D2 (Protokolle des Gundeldingervereins 1890-1898)

Abb. 1: Robert Labhardt, 2019.