Komfort ja - Luxus nein!

Die Entstehungsgeschichte der Wohngenossenschaft Gundeldingen

Text: Sarah Leonie Durrer

Die Basler Wohngenossenschaft Gundeldingen bietet ihren Bewohner*innen seit 1926 günstigen Wohnraum. Ihre Gründung war eine Reaktion auf die Wohnungsknappheit und die prekären Wohnverhältnisse vieler Arbeiterfamilien nach dem Ersten Weltkrieg.

"Sing-Sing" im Grünen

Am 26. Mai 1926 wurde die Wohngenossenschaft Gundeldingen gegründet; gemäss Statuten mit dem Zweck, "den Genossenschaftern gesunde und billige Wohnungen zu verschaffen und damit ihre soziale Wohlfahrt zu fördern". Mit der Planung beauftragte man die Architekten Von der Mühll und Oberrauch im Verbund mit dem Architekten Rudolf Christ. Der Bauplatz, der ihnen an der Ecke Gundeldingerstrasse-Thiersteinerallee zur Verfügung stand, umfasste rund 9'400 Quadratmeter.

Die Genossenschaft entstand von August 1926 bis Oktober 1927 in zwei Bauetappen. Der Bau wurde dabei so ausgerichtet, dass möglichst viele der 133 Wohnungen von der Lage am Stadtrand und dem Blick auf die grüne Gundeldingerstrasse profitierten. Denn damals säumten Schafweiden und ein Bauernhof die heute viel befahrene Strasse. Die Häuser konzipierten die Architekten um einen Innenhof mit Rasen und Lindenbäumen. In diesem Innenhof – dem "Mätteli" – steht noch heute eines der wenigen Schmuckelemente der Genossenschaft: Ein Brunnen aus Osogna-Granit mit einer vom Kunstkredit angekauften Plastik des Basler Bilderhauers Max Wilde. Die rote Fassade ist schlicht gehalten und wird einzig von rundturmartigen Balkonen und kantigen Betonterrassen durchbrochen.

Die Zeitungen bedachten die schlichte Architektur mit Lob. So charakterisierten die Basler Nachrichten den Bau als "Musterbeispiel […] auf dem zukunftsreichen Gebiet neuzeitlicher Siedlungsarchitektur". Auf weniger Gegenliebe stiess das Gebäude in der Basler Bevölkerung. Angesichts der roten Fassade, der um zwei Höfe angelegten Gebäudestruktur, und den als klein wahrgenommenen Fenstern sprach der Basler Volksmund bald vom "Sing-Sing" - in Anlehnung an das berüchtigte Gefängnis in den USA.

Plastik Max Wilde
Brunnen mit Plastik von Max Wilde im Wohnhof (Foto: S. Durrer).

Auf der Suche nach Mieter*innen

Die Baukosten betrugen 2.83 Millionen Franken. Davon trugen eine Million Franken die Witwen- und Waisenkasse des Staatspersonals und je eine halbe Million die Handwerkerkasse und die Basler Kantonalbank. Der Allgemeine Consumverein (ACV) beider Basel – heute Coop – gewährte einen Baukredit von 1.2 Millionen Franken. Der ACV spielte bei der Entstehung vieler genossenschaftlicher Wohnprojekte eine wichtige Rolle. Denn mit der Finanzierung sicherte sich der ACV die Möglichkeit, in einer neuen Wohngenossenschaft einen Verkaufsladen einzurichten und dadurch sein Filialnetz stetig auszubauen.

Zusätzliches Kapital versprach man sich von den Anteilscheinen der Mieter*innen. Gerade diese scheinen aber eine Hürde auf dem Weg zur Genossenschaftswohnung gewesen zu sein. Im April 1927 waren noch immer viele Wohnungen nicht vermietet, weshalb der Vorstand vorerst auf Pflichtanteilscheine verzichtete. Um Mieter*innen zu gewinnen, schaltete er in vielen Zeitungen Artikel und Inserate. Im Schaufenster der National-Zeitung am Marktplatz wurde ein Bild des Baus ausgestellt, und ein Inserat warb für das genossenschaftliche Wohnen: "Wissen Sie, dass es weit angenehmer ist, in einer Genossenschaft zu wohnen? … Der Genossenschafter geniesst alle Vorteile des Nurmieters (ohne die Nachteile) und zudem die Vorteile des Vermieters (ohne seine Nachteile)".

Schwierige Anfänge

Als im Oktober 1927 die zweite Bauetappe abgeschlossen war, hatte sich die Lage noch nicht gebessert. An den Häusern wurden bereits erste Mängel sichtbar. Viele Mieter*innen zahlten ihre Miete verspätet oder gar nicht oder zogen ohne Kündigung über Nacht aus. Einige Mietparteien hatten sich derart zerstritten, dass ihnen der Vorstand kündigte. Die schlechte Zahlungsmoral der Genossenschafter*innen und die zahlreichen leerstehenden Wohnungen brachten den Finanzierungsplan der Genossenschaft aus dem Lot.

Der Allgemeine Consumverein gewährte ein Darlehen von 40'000 Franken – obschon er mit dem Einkaufsverhalten der Genossenschafter*innen nicht zufrieden war. Diese tätigten ihre Einkäufe nämlich weiterhin lieber in Quartierläden statt im Verkaufsladen des ACV. In einem ausführlichen Brief bat der Vorstand die Genossenschafter*innen darum, im ACV-Laden einzukaufen.

Die Vermietung der Wohnungen blieb noch bis in die 1930er-Jahre problematisch, ebenso wie die Einzahlung von Genossenschaftskapital – damals waren selbst Beiträge von fünf Franken an die noch ausstehenden Anteilscheine willkommen.

Noch immer da

Heute erinnert nichts mehr an den schwierigen Auftakt der ersten Jahrzehnte. In den nachfolgenden Jahren erstritten sich die Mieter*innen in langen Generalversammlungen verschiedene Erneuerungen, darunter eine Zentralheizung, eine Fernsehantenne und moderne Waschmaschinen. Da bis heute nur in jedem zweiten Haus eine für alle zugängliche Waschmaschine steht, und die Wäsche jeweils über den Hof getragen werden müsste, haben sich viele Genossenschafter*innen eine eigene Maschine gekauft.

Diesen "Luxus" – bis in die späten 1990er-Jahre galt sogar ein Kühlschrank als luxuriös – bezahlen die Genossenschafter*innen selber. Das zwischen Vorstand und Genossenschafter*innen über die Jahre immer wieder neu verhandelte Modell "Komfort ja - Luxus nein!" scheint sich für die Bewohner*innen des "Sing-Sing" bis heute zu bewähren.

Einbau Zentralheizung 1966
Einbau der Zentralheizung 1966 mit tatkräftiger Unterstützung der Genossenschafter*innen (Foto: Archiv Wohngenossenschaft Gundeldingen).

Quellen

Heuss, Margrit, Wohngenossenschaft Gundeldingen, 1926-1976 (Basel, 1976).

Jahresberichte der Wohngenossenschaft Gundeldingen 1926-2018. 

Abb. 1: Brunnen mit Plastik von Max Wilde (Foto: S. Durrer).

Abb. 2 (Slider): Blick vom Bruderholz auf die Wohngenossenschaft Gundeldingen (Foto: S. Durrer).

Abb. 3 (Slider): Einer der «Türme» am Eingang zum Wohnhof (Foto: S. Durrer).

Abb. 4 (Slider): Blick durch den Torbogen (Foto: S. Durrer).

Abb. 5 (Slider): Der ACV-Laden 1927 (Foto: Basler Nachrichten, 24. August 1927).

Abb. 6 (Slider): Betonterrassen an der Thiersteinerallee. Darunter das ehemalige ACV-Ladenlokal (Foto: Sarah Durrer).

Bild 7: Einbau der Zentralheizung 1966 mit tatkräftiger Unterstützung der Genossenschafter*innen (Foto: Archiv Wohngenossenschaft Gundeldingen).

Autorin

Sarah Leonie Durrer studiert Osteuropäische Geschichte und Jüdische Studien an der Universität Basel. Sie interessiert sich dabei insbesondere für die Geschichte der jüdischen Bevölkerung in der Zweiten Polnischen Republik und publiziert regelmässig im Jetzt-Zeit Blog - Basler Studierende schreiben Geschichte(n).