Ein letzter Akt des Schreckens: Die Hinrichtung von 1819

Text: Dominik Sieber

Am 4. August 1819 zogen laut Überlieferung 20'000 Baslerinnen und Basler vor das Steinentor, um beim heutigen Parkplatz des Zoologischen Garten einem blutigen Spektakel beizuwohnen: Auf der städtischen Richtstätte, «Kopfabheini» oder «Rabenstein» genannt, enthauptete der Henker Peter Mengis drei Mitglieder einer Diebesbande mit dem Schwert. Ferdinand Deisler aus dem badischen Inzlingen, Xavery Hermann aus Colmar und Jakob Feller aus dem elsässischen Sondernach hatten die Basler Region während Jahren unsicher gemacht – das Gericht verurteilte sie u.a. für Raub, Diebstahl, Brandstiftung, die Plünderung von Kirchen, Totschlag, die versuchte Sprengung des Kleinbasler Pulverturms. Ein viertes Mitglied der Bande, der Elsässer Joseph Studer, kam mit dem Leben davon, wurde gebrandmarkt und mit 24 Jahren Zwangsarbeit gebüsst. Die Hinrichtung vor 200 Jahren war die letzte in der Geschichte der Stadt, auch wenn Basel die Todesstrafe offiziell erst 1872 abschaffte.

Der "Kopfabheini": Richtstätte vor dem Steinentor vor ihrem Abbruch 1838, gemalt von Johann Jakob Schneider (1822–1889), Staatsarchiv Basel-Stadt, BILD Schn. 118.

Schaulust und Abschreckung

Der Publikumsandrang an diesem Augusttag 1819, wie ihn die Quellen behaupten, ist sicher übertrieben – beim «Kopfabheini» wären damals mehr Menschen zugegen gewesen, als in Basel lebten (1815: 16'674 EinwohnerInnen). Die Zahl wollte beeindrucken, sie wollte vor allem die obrigkeitliche Dringlichkeit hervorheben, Raub und Diebstahl in einer Zeit der Not zu bestrafen. Nach dem Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora im Jahre 1815 war es 1816/17 in Mitteleuropa zu zwei verregneten Sommer gekommen, die Ernten brachen ein, der Hunger grassierte, auch in Basel und auf der Landschaft. Viele wanderten nach Amerika aus, viele mussten sich mit kleineren oder grösseren Diebstählen über die Runden bringen. Ihnen sollte die Hinrichtung als Abschreckung dienen.

Der 1819 hingerichtete Xavery Hermann
Quelle: Geschichte der Verbrecher X. Hermann, F. Deisler, J. Föller und Jos. Studer, Basel [1819], Copyright: Universitätsbibliothek Basel. Foto: Noah Regenass

(Un)heimliche Erinnerungsorte

Das Verbrechen hat seine Geschichte – gesellschaftliche Sühnevorstellungen und materielle Notlagen bestimmen den Umgang mit ihm. Als «Theater des Schreckens» (Richard von Dülmen) gehörten öffentliche Hinrichtungen zur Strafpraxis des Mittelalters und Frühen Neuzeit. In aufklärerischen Kreisen des 18. Jahrhunderts stiess die Todesstrafe stärker auf Kritik. Und nach der «Terreur» der Französischen Revolution mit tausenden von Guillotine-Opfern wurde sie 1795 in Frankreich vorübergehend (bis 1810)abgeschafft.

Von den kritischen Stimmen blieb Basel nicht unberührt. Der städtische Galgen, der im Spätmittelalter von der Lyss in das unbewohnte Gellert verlegt worden war, wurde 1821 entfernt. Nur der Strassenname «Galgenhügelpromenade» erinnert heute noch an den dunklen Ort, und auch von der Richtstätte vor dem Steinentor haben sich keine Spuren hinterlassen – der gewaltsame Tod ist ein schwieriger Erinnerungsort für die Stadt. Seit März 2019 gedenkt freilich eine Tafel auf der Mittleren Brücke der Basler «Hexen» und «Hexer», die getötet wurden, und vergegenwärtigt so ein unheilvolles Kapitel der städtischen und europäischen Rechtsgeschichte.

Historisches Museum Basel, Richtschwert
Basler Vogteischwert, um 1274, mit einem Griff aus dem 16. Jahrhundert, Historisches Museum Basel, Inv. 1870.529. © Historisches Museum Basel, Foto: Andreas Niemz

Ein verfemter Beruf

Der Basler Henker Peter Mengis gehörte zu einer Familie, die schweizweit als Scharfrichter tätig war – in Rheinfelden richtete Theodor Mengis noch 1905 eine Kindsmörderin mit dem Schwert. Dass der Beruf des Henkers oft über Generationen in der gleichen Familie verblieb, hatte mit dessen schlechten Ruf zu tun: Er galt als unehrlich. Mit dem Henker und dessen Namen wollte niemand zu tun haben, er wurde aus der Gesellschaft ausgegrenzt, vielerorts durfte er nicht einmal ein Wirtshaus betreten. Dabei war das Amt anspruchsvoll – wenn der Henker eine schlechte Klinge führte und ihm eine Hinrichtung misslang, wurde er bestraft.

Zur Ehrlosigkeit passte, dass die Wohnung des Basler Henkers auf dem Kohlenberg lag – in einem Quartier, in dem städtische Aussenseiter lebten, Spielleute, Dirnen, Totengräber, Dolenreiniger. Peter Mengis war allerdings schon fast in der Mitte der Gesellschaft angelangt. Er soll ein ehrwürdiger, gelehrter Mann gewesen sein. Von seiner Mutter, einer gebürtigen Handschin, stammte die Basler Gelehrtenfamilie Woelfflin ab. Der andere Name tat hier seine Wirkung: Er ermöglichte die Vernetzung mit der Basler Gesellschaft. Peter Mengis trat 1838 als Scharfrichter zurück und war nur noch als Tierarzt tätig. Er nutzte also seine anatomischen Kenntnisse, gehörte die Beseitigung toter Tiere (Wasermeisteramt) doch häufig zur Tätigkeit des Henkers. Bis 1850 mietete Basel den Scharfrichter von Frick, Jakob Mengis, um Körperstrafen – das Ausstellen am Pranger, die Züchtigung durch Ruten, das Brandmarken – weiter vollziehen zu können. Diese Strafen wurden allerdings immer seltener.

Schrank des Basler Henkers, in dem Richtschwert, Galgenstricke, Brandmarkeisen, Haarschneideschere aufbewahrt wurden, 15.–18. Jahrhundert, Historisches Museum Basel, Inv. 1906.2934, 1906.2937, 1921.1260, 1921.1261. © Historisches Museum Basel, Foto: Andreas Niemz

Gefangenenhilfe statt Richten

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wandelte sich das Basler Strafverständnis, wie die Forschung (Eva Keller) zeigt. In Anlehnung an Gefangenreformen in England sollten Verurteilte gebessert statt gerichtet werden. Man wollte sie für die Gesellschaft als nützliche Mitglieder zurückgewinnen – in der Haft wurde dies gefördert durch Seelsorge, schulischen Unterricht und bezahlte Arbeit. Ein eigener Frauenverein widmete sich ab 1824 den weiblichen Sträflingen. Die Baslerinnen mussten ihr soziales Engagement allerdings gegen alte Rollenbilder und männliche Führungsansprüche (etwa des Strafanstaltspfarrers) durchsetzen. Sie taten dies mit Erfolg, zum Wohl eines humaneren Strafvollzugs in Basel.

Die Werkzeuge des Basler Henkers wurden gesammelt – ein mittelalterlicher Vorgänger des Basler Richtschwerts wird heute in der neuen Dauerausstellung des Historischen Museums Basel gezeigt. Es dient nicht mehr der Abschreckung: Das Schwert lädt zur historischen Reflexion über die städtische Strafgewalt ein – und klärt über eine Strafpraxis auf, an dessen Ende wir uns erleichtert erinnern.

Weiterlesen auch hier:

- Artikel der bz Basel zum Leben als Henker in Basel

- Artikel der bz Basel zur letzten Hinrichtung vor 200 Jahren

Autor

Dominik Sieber, Mitarbeiter an der neuen Basler Stadtgeschichte und Mitglied Verein Basler Geschichte.

Material

– Dülmen, Richard van: Theater des Schreckens: Gerichtspraxis und Strafrituale in der frühen Neuzeit. München 1985.

– Historisches Museum Basel (Hg.): Schuldig. Verbrechen, Strafen, Menschen, Basel 2012.

– Keller, Eva: Verschlossene Türen zur Macht? Frauen in der Basler Straffälligenhilfe des 19. Jahrhunderts. In: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 68 (2018), S. 151–168.

– Krämer, Daniel: «Menschen grasten nun mit dem Vieh». Die letzte grosse Hungerkrise der Schweiz 1816/17. Mit einer theoretischen und methodischen Einführung in die historische Hungerforschung, Basel 2015.

– Lötscher, Valentin: Der Henker von Basel, in: Basler Stadtbuch, 1969, S. 74–114.

– Geschichte der Verbrecher X. Hermann, F. Deisler, J. Föller und Jos. Studer, durch das Kriminalgericht zu Basel den 14. Jul. 1819 theils zum Tode, theils zur Kettenstrafe verurtheilt. Nebst den Bildnissen derselben und jenen der Beschuldigten Rosina Leber und Maria Waidel. Nach den Prozessakten bearbeitet und zur Warnung herausgegeben, Basel [1819]