Der Goliath von Basel

Text: Oswald Inglin

Immer wieder führen vermeintlich oder absichtlich manipulierte Visualisierungen von Bauvorhaben, die sich einer Volksabstimmung stellen müssen, zu Kontroversen. Als eines der letzten Beispiele könnte man eine vom Referendumskomitee gegen den Claraturm veröffentlichte Darstellung anführen, die das Gebäude als überdimensionierten Koloss am Ende der Clarastrasse erscheinen liess, während die tatsächliche Höhe des Gebäudes um etwa einen Drittel kleiner vorgesehen war.

Dass diese Art von Abstimmungspropaganda in Basel eine längere Tradition hat, soll im Folgenden am Bei­spiel der Volksabstimmung über den Erweiterungsbau des Rathauses vom 18. Juni 1899 illustriert werden.

Vergleich der Pläne aus dem Abstimmungskampf. 1899. Privat.
Vergleich der Pläne aus dem Abstimmungskampf. 1899. Privat.

Als 1889 die Grösse des Marktplatzes durch den Abbruch des Gevierts zwischen der Markt-, Stadthaus- und der heute nicht mehr existierenden Sporengasse (entlang der Fassade des heutigen Globus und Tally Weijl) fast verdoppelt wurde, gab es für lange Zeit Pläne, dass auf einem Teil des freigewordenen Areals ein Verwaltungsgebäude gebaut werden sollte. Es wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, den Karl Moser, der Erbauer des Badischen Bahnhofs und der Antoniuskirche, gewann. Allerdings beschloss der Grosse Rat in der Folge, den Platz doch freizuhalten und den endgültigen Entscheid dem Volk zu überlassen, wel­ches am 23. August 1891 diesen Beschluss mit grossem Mehr bestätigte.

Mehr Platz für die Verwaltung

Damit waren aber die Platzprobleme für die Basler Verwaltung nicht gelöst. 1894 legte der Kantonsbau­meister und spätere Baudirektor Heinrich Reese einen Bebauungsplan vor, der vorsah, diesen Raum durch eine Vergrösserung des bestehenden Rathauses zu schaffen, und zwar durch eine Erweiterung in die Breite, damit das Rathaus, das durch die Vergrösserung des Platzes etwas von seiner früheren Dominanz verloren hatte, wieder seinen, ihm gebührenden Platz einnehmen könnte.

Im Sommer 1895 fand eine erste allgemeine und anonyme "Ideenkonkurrenz" statt, dann eine zweite, be­schränkte Konkurrenz, die eine Fassadengestaltung mit Turm auf der südlichen Nachbarliegenschaft vorschrieb. Das Basler Architekturbüro E. Vischer & Fueter gewann und im Sommer 1897 genehmigte der Grosse Rat das Projekt.

Mit oder ohne Turm?

Am 22. Dezember 1898 legte schliesslich der Regierungsrat dem Grossen Rat ein nochmals überarbeitetes Projekt von Vischer & Fueter vor, das auch dem Finanzdepartement Platz im Rathaus einräumte. Dieses Projekt wurde wesentlich durch Hermann Jennen aus Kleve mitgeprägt, einen jungen Architekten und Bauführer am im Bau befindlichen Staatsarchiv an der Martinsgasse. Er wohnte damals mit Hermann Hesse zusammen an der Holbeinstrasse 21. Seine Erlebnisse auf der Baustelle bewegten Hesse, eine Geschichte unter dem Titel "Das Rathaus" zu schreiben. Sie erschien erst 1977 in der Sammlung Aus Kinderzeiten. Sie gibt einen humorvollen Einblick in die Diskussionen um die Baukosten der Erweiterungsbauten. Auf der Marktplatzseite sah das Projekt neben dem Turm einen nördlich angrenzenden Erweiterungsbau vor, die sog. "Neue Kanzlei". Als der Grosse Rat nach heftigen Diskussionen dem Projekt und vor allem dem Turm zustimmte, ergriff die Opposition das Referendum.

Der folgende Abstimmungskampf war erbittert. In seinem Zentrum stand wiederum der Turm. Im Basler Anzeiger vom 23. April 1899 las man unter dem Titel "Der Goliath von Basel":

«"Was ragt dort für ein Goliath

Von Stein am Markt empor?"

So fragt, wer sich nicht Basel-Stadt

Zum Wohnsitz auserkor.

"Es ist ein Turm" – so hört er dann,

"Der keinem anderen gleicht,

Weil, wer als S e l b s t z w e c k ihn ersann,

Das Höchste hat erreicht."

Unter den Pamphleten von hüben und drüben erschien auch eine Illustration der Pro-Seite, welche die "Unrichtige geometrische Ansicht des Referendum-Comites" mit einer Darstellung konfrontierte, die den Regierungsvorschlag in die richtigen Proportionen rücken sollte (siehe Abbildung).

Am 18. Juni 1899 nahmen die Stimmbürger mit 3'524 zu 2'416 Stimmen den Regierungsvor­schlag an. Am glücklichsten dabei war vielleicht der inzwischen zum Regierungsrat gewählte Heinrich Reese, der sich immer vehement für einen Turm am Basler Rathaus eingesetzt hatte. Wie böse Zungen spotteten, konnte nun der erst 1882 eingebürgerte Reese, wenn ihn das Heimweh plagte, vom Turm oben in seine alte deutsche Heimat hinübersehen...

Quellen

PLA 44 Rathaus, Renovation: Pläne und Pausen, 1900 (ca.)-1984 (Bestand)

Autor

Oswald Inglin, Mitglied Verein Basler Geschichte.

Historiker, Grossrat; ehemaliger Konrektor und Gymnasiallehrer; erforscht für seine Führungen die Geschichte der Quartiere im Osten von Basel.