Der internationale Arbeiter-Kongress von 1869 in Basel

Text: Bernard Degen

Vom 6. bis 11. September 1869 tagte in Basel der IV. Kongress der Internationalen Arbeiter-Assoziation – heute bekannter als Erste Internationale. Die Verhandlungen stiessen nicht nur in der in- und ausländischen Presse auf lebhaftes Interesse. Auch zahlreiche Einheimische fanden sich im heutigen Café Spitz ein – tagsüber weitgehend Bürgerliche, abends dann Arbeiterinnen und Arbeiter.

Bild vom vierten internationalen Arbeiterkongress in Basel im J. 1869 (genauer: 4. Kongress d. Internationalen Arbeiterassoziation) beim Café Spitz. Staatsarchiv Basel-Stadt, BILD 13, 938
Bild vom vierten internationalen Arbeiterkongress in Basel im J. 1869 (genauer: 4. Kongress d. Internationalen Arbeiterassoziation) beim Café Spitz. Staatsarchiv Basel-Stadt, BILD 13, 938

Als der III. Kongress der Internationalen Arbeiter-Assoziation (IAA) in Brüssel im September 1868 beschloss, die nächste Tagung in Basel abzuhalten, war die hiesige Arbeiterbewegung noch jung und unerfahren. Die europäische Streikwelle vom Frühling 1868 stärkte aber auch das Selbstbewusstsein der regionalen Arbeiterschaft, so dass Ende August beim Basler Internationalen Arbeiterverein (IAV) von 1'000 bis 1'500 Mitgliedern die Rede war. Ab November kam es zu weitherum beachteten Streiks in der Seidenbandindustrie und später auch in der Färberei, was die Mitgliedschaft auf etwa 3'000 Männer und 500 Frauen anschwellen liess.

Café National

Anfang September 1869 trafen dann 78 Delegierte in Basel ein, deren Mandate – d.h Bestätigungen, dass sie im Namen der Mitglieder handelten – 27 Arbeiterorganisationen aus Frankreich, 24 aus der Schweiz, 12 aus Deutschland, 6 aus England, 5 aus Belgien, 3 aus Italien, je 2 aus Österreich und Spanien sowie eine aus den USA ausstellten. Lange nicht alle Sektionen konnten sich Reise und Aufenthalt leisten, weshalb viele auf eine Vertretung verzichteten oder diese delegierten. Etliche in Basel Wohnhafte nahmen mit Mandaten auswärtiger Vereine teil, so z.B. der Student Heinrich Scherrer (1847-1919), der später grütlianisch-sozialdemokratischer National-, Stände- und Regierungsrat in St. Gallen war, für Barmen-Elberfeld (heute Wuppertal). Der IAV entsandte drei Linksfreisinnige, nämlich Johann Jakob Bohny (1820-1900), Bernhard Collin-Bernoulli (1824-1899) und Johann Caspar Alois Bruhin (1824-1895). Aus Zürich kamen der Genossenschaftspionier Karl Bürkli (1823-1901) und Herman Greulich (1842-1925), später eine während Jahrzehnten herausragende Persönlichkeit der schweizerischen Arbeiterbewegung.  Erstmals traten Anarchisten um Michail Bakunin (1814-1876) und deutsche Sozialdemokraten unter der Leitung von Wilhelm Liebknecht (1826-1900) auf. Der Kongress tagte im Gesellschaftshaus der drei Ehrengesellschaften, im Café National (heute Café Spitz). Jeweils mehrere Dutzend Basler folgten den Verhandlungen, fast ausschliesslich Bürgerliche, da die Arbeiterschaft nicht vom Arbeitsplatz fernbleiben konnte. Diese beteiligte sich dafür rege an den Abendveranstaltungen, die zu einem guten Teil aus Reden von Delegierten bestanden.

Berichte und Debatten

Einen grossen Teil der Kongressverhandlungen beanspruchten Berichte der Delegierten über die Lage der Arbeiterschaft in ihrem Einzugsgebiet. Zudem standen einige Grundsatzfragen zur Debatte. In der Frage des Grundeigentums erlitten die einst starken Anhänger des französischen Frühsozialisten Pierre-Joseph Proudhon (1809-1865) gegenüber den Anhängern des Kollektiveigentums eine deutliche Niederlage. Beim zweiten Haupttraktandum gewann zwar Bakunin für sein zentrales Anliegen, die Abschaffung des Erbrechtes, eine Mehrheit; da aber weder er noch seine Gegner das absolute Mehr erreichten, kam keine Entscheidung zustande. Über die Notwendigkeit von Gewerkschaften schliesslich herrschte weitgehend Einigkeit, da die einstigen Gegner – Proudhonisten und Anhänger von Ferdinand Lassalle (1825-1864) – kaum mehr ins Gewicht fielen. Weitere vorgesehene Fragen konnten wegen Zeitmangels nicht mehr behandelt werden.

Rückblick

Der Basler Kongress der IAA war der weitaus repräsentativste. Die für 1870 zuerst in Paris und dann in Mainz vorgesehene Zusammenkunft konnte wegen des deutsch-französischen Krieges nicht durchgeführt werden. Danach erreichten die Konflikte zwischen Bakunisten und der Mehrheit eine Heftigkeit, dass sie de facto die IAA sprengten. Mit der von einer europaweiten Solidaritätskampagne unterstützten Streikwelle und dem Kongress der IAA stand Basel 1868/69 kurz im Scheinwerferlicht der internationalen Arbeiterbewegung. Wenn auch die Auswirkungen auf lokaler Ebene bescheiden blieben, geriet die Tagung hier nicht in Vergessenheit, wie die grosse Gedenkveranstaltung 1909 oder die zahlreichen Anspielungen auf dem sozialistischen Friedenskongress von 1912 dokumentieren.

Autor

Bernard Degen, Mitglied Verein Basler Geschichte.

Historiker, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Departement Geschichte der Universität Basel, publiziert zur schweizerischen und Basler Wirtschafts- und Sozialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts

Verweise

Bestand "Vereine und Gesellschaften H 4. Schweizerischer Arbeiterkongress in Basel, 1875 (Serie)" im Staatsarchiv Basel-Stadt

Ein Beitrag zu "Linke Geschichte im Archiv" des Staatsarchivs mit Links zu entsprechenden Beständen. 

 

Eintrag: Internationale im Historischen Lexikon der Schweiz

Zum Café Spitz der Beitrag im Stadtbuch zu "Cafés und Beizen in Basel" Autor/in: Till Förster
Herausgeberin: Christoph Merian Stiftung

"Der Basler Kongress der Internationalen Arbeiter-Association" In: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde, 64 (1964).