Marktplatz, 1914. Fotograf unbekannt. Staatsarchiv Basel-Stadt, Abl. 2015/22 4

«Drägg wägg»

Text: Esther Baur

Keine wartenden Pferdedroschken, keine beschaulichen Marktstände, auch keine Demo zeigt dieses interessante historische Dia von etwas mangelhafter Qualität. Sondern sechs putzende Männer auf dem Marktplatz, die eine ansehnliche Menge Abfall entsorgen.

Auf den ersten Blick macht diese Vereinigung von fahrbaren Abfallcontainern und einer ganzen Putzkolonne keinen rechten Sinn. Erst bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass der herbeigekarrte Abfall gewissermassen unter den Teppich gekehrt wurde. Die Männer schaufelten den Abfall direkt in das schwarze Loch mitten auf dem Marktplatz. Der mächtige Dohlendeckel war kurz zuvor mit einem Dohlenheber weggehievt worden, um bald wieder zurückgeschoben zu werden. Anno 1914 pflegte man den Abfall offensichtlich im unter dem Marktplatz durchfliessenden Birsig zu entsorgen, von wo er mit dem Birsigwasser in den Rhein geschwemmt wurde.

Marktplatz, 1914. Fotograf unbekannt. Staatsarchiv Basel-Stadt, Abl. 2015/22 4
Marktplatz, 1914. Fotograf unbekannt. Staatsarchiv Basel-Stadt, Abl. 2015/22 4

Ein Foto als Dokumentation eines Missstandes

Dieses Dia wurde im Auftrag des Baudepartementes hergestellt und ist dokumentarisch im eigentlichen Sinn. Dokumentiert wurde von den Behörden ein damals noch offenes Problem: die geeignete Entsorgung von öffentlichem Abfall und die Reinigung des öffentlichen Raums. Zwar hatte man zu Ende des 19. Jahrhunderts die für Städte typische Seuchengefahr mit der Überdeckung des Birsig und der Anlegung einer eigentlichen Kanalisation weitgehend gebannt. Der Birsig hatte zuvor während Jahrhunderten als öffentliche Kloake gedient, in der sämtliche Abwässer aus Privathaushalten und alle gewerblichen Abfälle umstandslos entsorgt wurden.

Doch auch wenn nun kein stinkender Bach mehr offen durch die Stadt floss, die sogenannt «hygienischen» Probleme im öffentlichen Raum waren noch keineswegs gelöst und sorgten für anhaltende Debatten. Denn mit dem zunehmenden Verkehr entstanden andere Probleme. Bereits um 1908 fuhren pro Tag mehr als 700 Fuhrwerke am Rathaus vorbei, neu hinzu kam in den Folgejahren der motorisierte Verkehr. Gepflasterte Strassen und Plätze waren teuer und aufwändig in der Reinigung. Fuhrwerke verursachten darauf einen ohrenbetäubenden Lärm. Und wo die Strassen nicht gepflastert waren, setzte der Verkehr gesundheitsgefährdende Staubwolken frei. Pflaster, Makadam oder Teer?, so lautete die Frage. Denn in der modernen Stadtgesellschaft wurde der Dreck auf der Strasse zusehends als gesundheits- und sozialpolitisches Problem verstanden.

Die Möblierung der Stadt – ein historisches Thema

Vergangene Zeiten? Die Abfallentsorgung im öffentlichen Raum ist noch heute Thema… Die Nutzung des öffentlichen Raums und die diesbezüglichen Empfindlichkeiten haben sich im letzten Jahrhundert stark verändert, sind aber bisher kaum untersucht. Wer die jüngste Geschichte Basels erforscht, findet im Staatsarchiv genügend Stoff. Zum Beispiel zur Geschichte von Abfalleimern, Parkuhren, Tramunterständen, Billetautomaten, Sonnenschirmen, Stühlen und Leuchtreklamen. Aber auch die Frage der Oberflächengestaltung von Strassen und Plätzen reicht von aktuellen Debatten bis weit zurück in die Stadtgeschichte.

Autorin

Esther Baur, Mitglied Verein Basler Geschichte, Herausgebergremium Stadt.Geschichte.Basel.

Staatsarchivarin, Lehrbeauftragte am Departement Geschichte der Universität Basel. Vorträge und Publikationen unter anderem zur Geschichte der Fotografie.