Die vielen, wunderbaren Orgelkonzerte in der Leonhardskirche verzaubern regelmässig eine andächtige Hörerschaft, die mit gesenkten Köpfen dasitzt. Wer aber die Augen zum Altar oder gar Richtung Himmel wendet, sieht ganz oben im Ostfenster etwas Goldenes blinken: Einen Baslerstab in Gold. So viel Luxus passt eigentlich nicht zum betont bescheidenen Habitus der alteingesessenen Basler*innen. Die kostbare Ausstattung ist auch von eigentümlicher Herkunft: Sie geht auf eine Erlaubnis von Papst Julius II. (1503-1513) zurück, die er 1512 den Eidgenossen gewährt hatte.

Verbündet mit den wilden Berglern

Die frommen und wackeren "Schweizer" - ein Name, den die Eidgenossen bis 1500 verschmäht hatten - standen beim Papst dank ihrer wirkungsvollen Brutalität seit Längerem in grossem Ansehen. Bereits 1506 gründete er die bis heute bestehende Schweizergarde.

Das damalige Oberhaupt der katholischen Kirche entsprach ganz einem Renaissancefürsten. Er hatte drei illegitime Töchter, plante den Neubau des Petersdoms und förderte die Künste, indem er unter anderem die Sixtinische Kapelle von Michelangelo ausmalen liess. Ein Friedensfürst war er keinesfalls, sondern er stand gerne an der Spitze eines Heeres, führte auch persönlich Krieg und tötete seine Gegner. Martin Luther bezeichnete ihn als "Blutsäufer".

Er träumte davon, ganz Italien unter seiner Vorherrschaft zu vereinen. Als Frankreich und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation sich um Oberitalien stritten, wollte Julius II. seinen Anteil sichern. Deswegen verbündete er sich 1510 mit den wilden Berglern, zu denen seit 1501 überraschenderweise auch die Basler gehörten. In der Folge kam es zu verschiedenen Schlachten - eher Schlächtereien -, die für die Eidgenossen erfolgreich verliefen. Um diese wackeren Mannen zu belohnen, gewährte ihnen der Papst 1512 eine Audienz.

Ein Baslerstab in Gold

Ein päpstlicher Schreiber schildert eingängig, wie sie verlief. Leonhard Grieb - wohlgemerkt ein Basler! - hielt eine lateinische Rede, worin er betonte, die Eidgenossen ("Helvetii") seien Verteidiger der Kirche und hätten deshalb als Ehrenzeichen vom Papst das Barett und das Schwert - eigentlich adlige Symbole - erhalten.

Grieb hob auch hervor, dass die Eidgenossen sich keinem Fürsten unterordnen möchten; beim Stellvertreter Petri sei dies aber selbstverständlich anders. Als Zeichen ihrer Unterwürfigkeit küssten die 60 eidgenössischen Gesandten - Basler eingeschlossen - dem Papst anschliessend die Füsse, der huldvoll weitere Privilegien erteilte: Alle eidgenössischen Orte erhielten ein Banner mit goldenem Hintergrund, und Basel durfte fortan Goldmünzen prägen.

Die Goldfarbe war zwar korrekt gesehen ein Zeichen des weltlichen Adels, aber Julius II. adelte als geistlich-weltlicher Renaissance-Fürst ohne Bedenken seine treuen Mitstreiter. Bis heute finden sich goldene "Juliusbanner" in der Schweiz, beispielsweise im Sitzungssaal der Gemeinde Andermatt. Offensichtlich fanden auch die Basler Gefallen an dieser Ehrung, denn die Baslerstäbe im Rathaus waren seither - aber nur für kurze Zeit - mit einem Goldhintergrund versehen.

Baslerstab_Leonhardskirche
Der goldene Baselstab in der Leonhardskirche (Bild: Claudius Sieber-Lehmann).

Am Bildersturm vorbei

Die Reformation wollte davon nichts mehr wissen, und seither kennen wir nur das nüchterne Schwarz-Weiss des Basler Standeszeichens. Als 1529 im Zeichen des Bildersturms die Kirchen geräumt wurden, übersahen die eifrig wütenden Handwerker offensichtlich den goldenen Baslerstab ganz oben in der Leonhardskirche. Ob ihre Steinwürfe nicht trafen oder ob sie zu wenig in Richtung Himmel schauten, wissen wir nicht.

Autor

Claudius Sieber-Lehmann ist Privatdozent für mittelalterliche Geschichte an der Universität Basel und bis Ende Juni noch Lehrer am Gymnasium Liestal. Er ist Mitherausgeber von Band 2 (800-1270) der neuen Basler Stadtgeschichte.

Quellen

Lateinische Beschreibung von Griebs Rede: Cartulaire de Mulhouse 4, Nr. 1995, S. 487f.

Fahnenbrief des Papstes: Basler Urkundenbuch 9, Nr. 386, S. 351ff.

Abb. 1: Goldener Baslerstab: Claudius Sieber-Lehmann, 2019.