Reformation in Basel: Im Gespräch mit Christine Christ-von Wedel

Text: Christine Christ-von Wedel im Gespräch mit Marcus Sandl und Daniel Sidler

In der Geschichte der Stadt Basel ist die Reformation ein zentrales Ereignis. Eine der besten Kennerinnen der Stadt Basel in der Reformationszeit ist die Historikerin Christine Christ-von Wedel. Marcus Sandl und Daniel Sidler - Autoren von Band 4 (1510-1805) - sprachen mit Christine Christ-von Wedel über die Ereignisse in den Jahren um 1529, über die Bedeutung des Humanisten Erasmus von Rotterdam sowie darüber, was wir aus der Reformation für unsere eigene Zeit lernen können.

1529 - Die Reformation gewinnt

Schon kurz nach Luthers Thesenanschlag 1517 wurden reformatorische Ideen von Basler Predigern wie Johannes Oekolampad aufgegriffen. Auch der bekannteste zeitgenössische Humanist Erasmus von Rotterdam, der seit 1514 in der Stadt weilte, stand ihnen zunächst positiv gegenüber. In grossen Teilen der Stadtbevölkerung und der Zünfte fanden sie ebenfalls schnell Anhänger. Der städtische Rat indes zögerte und favorisierte – anders als in Zürich – eine Politik des Kompromisses. So kam es erst infolge des zunehmenden Drucks von der Strasse, der am 8. Februar 1529 in einem Bildersturm kulminierte, zur Entscheidung. Die katholisch gesinnten Bürger und das Domkapitel mussten aus der Stadt fliehen. Auch Erasmus, der sich für einen Vermittlungskurs eingesetzt hatte, verliess Basel. Die Reformation hatte gewonnen.

Christine Christ-von Wedel
Christine Christ-von Wedel gilt als eine der besten Kennerinnen der Stadt Basel in der Reformationszeit.

Stadt.Geschichte.Basel: Die Basler Reformationsgeschichte ist ein kompliziertes Geschehen mit vielen Akteuren. Und es ist ein Geschehen, das sich an vielen Orten in der Stadt abgespielt hat. Frau Christ-von Wedel, wenn Sie die Geschichte der Reformation im Basler Stadtraum erzählen müssten, wo würden Sie beginnen?

 

Christine Christ-von Wedel: Es ist schwierig, sich auf einen Ort zu beschränken. Ich würde wohl beim Rathaus beginnen, dann zur Martinskirche gehen, und auch das Münster und den Domhof bräuchten wir für die Erzählung. Bei den Zunftstuben liessen sich weitere wichtige Aspekte thematisieren, und ich würde, das wird Sie kaum überraschen, sicher auch an einem der Erasmushäuser vorbeigehen. Die Theodorskirche, in der sich die Gegner der Reformation versammelt haben, dürften wir ebenfalls nicht vergessen. Und natürlich hat auch die alte Universität für die Reformationsgeschichte eine grosse Rolle gespielt. Sie sehen, im Grunde genommen brauchen wir die ganze Altstadt für eine solche Erzählung!

Und ein Rundgang mit Ihnen durch die Altstadt wäre bestimmt auch sehr spannend und lehrreich. Sie kennen nicht nur die Geschichte der Reformation sehr genau, sondern in Ihren Erläuterungen und in Ihren Büchern spürt man auch Ihre Begeisterung für diese Zeit und für einzelne Protagonisten. Was ist denn für Sie das Faszinierende an dieser Zeit um 1500?

 

Faszinierend finde ich die grosse Dynamik und zugleich die Offenheit, die in den Diskussionen in den frühen 1520er Jahren spürbar ist. Aber auch der Umgang mit dem in der Eidgenossenschaft weit verbreiteten Söldnerwesen und mit den Pensionen sind Themen, die diese Zeit prägten und zu denen wir noch viel mehr forschen müssten. Dann interessiert mich aber auch, wie sich die Menschen für die Reformation begeistern liessen. Viele Fragen sind damit verbunden: politische Fragen, Machtfragen, wirtschaftliche Fragen. Wenn man die Quellen liest, spürt man zudem eine grosse Begeisterung der Menschen für die Bibel und ihre Interpretation. Die reformatorische Theologie wurde dann natürlich sehr verwässert, vereinfacht und populistisch aufgeladen, hat die Leute aber ungemein bewegt.

Ein Aspekt, den Sie damit ansprechen, ist uns auch bei der Lektüre Ihrer Bücher aufgefallen. Sie legen viel Wert auf die handelnden Personen, auf ihre Beweggründe, Interessen und intellektuellen Fähigkeiten. Würden Sie sagen, dass die Zeit um 1500 eine Zeit war, die in besonderem Masse durch Charaktere und Persönlichkeiten geprägt worden ist?

 

So weit würde ich mich nicht vorwagen, denn wir müssten mehr wissen über die grundlegenden Kräfte, die damals am Werk waren. In Basel war mit Erasmus natürlich einer der Stars der damaligen Zeit vor Ort, also ein sehr starker Charakter und eine prägende Persönlichkeit. Für Basel war seine Präsenz sicher wichtig, obwohl es auch in anderen Städten ähnliche Entwicklungen gab. Erasmus wirkte eben auch und vor allem durch seine Schriften, die man in ganz Europa kaufen konnte. Ähnliches könnte man von Martin Luther und Wittenberg sagen. Natürlich gab es auch andere Schubkräfte, teilweise auch aus älterer Zeit. Man denke an den spätmittelalterlichen Antiklerikalismus, an die Basisbewegung der Bauern, die Handwerkerzünfte und andere Widerstandskräfte gegen die dominanten Doktrinen und Herrschaftspraktiken. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: Als Historikerin, die gelernt hat, Quellen kritisch zu lesen, kann ich die Personen, vor allem die Gelehrten, gut interpretieren. Deshalb sind sie in meinen Büchern wohl so präsent. Aber ohne die anderen, insbesondere sozialen Schubkräfte – die allerdings auch immer von Menschen getragen werden –  kann ich mir die Reformation nicht vorstellen.

Bildnis des schreibenden Erasmus von Rotterdam, 1523.  Hans Holbein d. J. Kunstmuseum Basel
Bildnis des schreibenden Erasmus von Rotterdam, 1523. Hans Holbein d. J. Kunstmuseum Basel

In der älteren Reformationsgeschichtsschreibung wird den Ideen von Erasmus und generell dem Humanismus häufig bloss eine Nebenrolle zugestanden. Deren Bedeutung beschränkt sich demnach darauf, den Boden für die Reformation bereitet zu haben. Ihre Studien zu Erasmus legen indes eine andere Interpretation nahe: An welcher Stelle müssen wir dieses Verhältnis von Humanismus und Reformation überdenken?

 

Was wir als wichtigstes Gegenargument zu der These, dass der Humanismus die Reformation bloss vorbereitet habe, sagen können, ist sicher dies: Alle bedeutenden Reformatoren haben das griechisch-lateinische Neue Testament als Grundlagentext benutzt, das Erasmus 1516 in Basel drucken liess. Dabei trug nicht nur die neue lateinische Übersetzung die Handschrift von Erasmus. Auch und vor allem die «annotationes», also die oft langen Anmerkungen und Kommentare zu einzelnen Bibelpassagen. Die hat Erasmus in den bis 1535 folgenden vier Auflagen jeweils erheblich erweitert und sie gingen in die Theologie von Oekolampad, Zwingli, Bibliander, Bucer und Calvin ein. Auch Luther, der gegen Erasmus heftig polemisierte und häufig auf die alte Übersetzung der Vulgata zurückgriff, verwendete und verwertete sie immer wieder. Dass Erasmus die Reformation nur vorbereitend beeinflusst habe, halte ich vor diesem Hintergrund für eine sehr kurzsichtige These.

Hinzu kommt, dass Erasmus zahlreiche eigenständige Schriften verfasst hat, die damals gelesen und rezipiert wurden.

 

Richtig! Denken wir beispielsweise an die Auszüge aus seinen Texten, die in reformatorischen Flugschriften verbreitet wurden, an seine Kolloquien, die Schulstoff waren, oder an seine Schriften zur Toleranz, an seine Gutachten und die Briefe an wichtige Protagonisten beispielsweise auf den Reichstagen. Erasmus hat sich darin für Gewissensfreiheit ausgesprochen. Ein Zusammenleben beider Konfessionen, betonte er, sei möglich. Das hatte durchaus Wirkung. Die Religionsfreiheit haben diese Schriften zwar zunächst nicht gebracht, aber wir sollten in der Geschichtswissenschaft noch viel mehr untersuchen, wie stark der Einfluss von Erasmus auf vermittelnde Politiker gewesen ist. Denken wir zum Beispiel an die Verhandlungen zum Zweiten Landfrieden, als diskutiert wurde, Gewissensfreiheit mehr oder weniger zuzulassen. Immerhin gab es in einigen Gemeinen Herrschaften der Eidgenossenschaft ein Mit- und Nebeneinander in derselben Stadt, beispielsweise in Frauenfeld, wo dieses Zusammenleben von Katholiken und Reformierten recht gut funktioniert hat.

Die Gewissensfreiheit ist in der Theologie von Erasmus sehr präsent, auch im Titel Ihres Buches haben Sie den Begriff aufgegriffen. Vom «Gewissen» war im Zeitalter der Reformation überhaupt oft die Rede. Auch Luther, an dem man häufig den Durchbruch des modernen Gewissens festmacht, hat sich am Wormser Reichstag 1521 auf sein Gewissen berufen. Ist der Rekurs auf das Gewissen ein Charakteristikum der Zeit?

 

Bereits früher, in der Hochscholastik, war das Gewissen sehr präsent. Aber Sie haben recht, in der Reformationszeit wird ständig mit dem Gewissen argumentiert. Erasmus zum Beispiel hat an Konrad Pellikan, der ihn für die Reformation gewinnen wollte, geschrieben: Ich überlasse euch eurem Gewissen, überlasst ihr mich meinem. Luther hat bekanntlich gesagt, sein Gewissen sei gefangen im Wort Gottes. Aber auch Kaiser Karl V., der Luthers Lehren verurteilte, hat sich auf sein Gewissen berufen. Da stellte sich für Zeitgenossen natürlich die Frage: Wer beruft sich zurecht auf sein Gewissen? Für Luther konnte nur das Wort Gottes gewiss machen. Wer aber wie Karl V. „gegen das Evangelium“ kämpfe, irre und könne sich nicht auf sein Gewissen berufen, ja, habe nach Luther, recht gesehen, gar kein Gewissen. Für uns heute ist eine solche Argumentation mehr als fragwürdig und vielleicht hätte auch Luther in Ruhe und in vertrautem kleinem Kreis nicht so gesprochen. Bei all diesen Fragen müssen wir immer bedenken, unter welchem Druck die Reformatoren standen.

Desiderius Erasmus. Novum Instrumentum omne, 1516. Universitätsbibliothek Basel
Desiderius Erasmus. Novum Instrumentum omne, 1516. Universitätsbibliothek Basel

Kommen wir von diesen theologischen Fragen wieder zurück in die Stadt und blicken nochmals auf die Situation in Basel. Wie sind denn theologische Ideen wie jene von Luther, Erasmus oder Oekolampad in der Stadt verbreitet und wirksam geworden?

 

Das können wir relativ eindeutig sagen. Erstens war die Predigt wichtig. Predigten waren natürlich bereits davor, seit es christliche Kirchen gibt, bedeutend. Und in der Reformation spielten sie für die Verbreitung neuer Ideen eine zentrale Rolle. Zweitens war es das neue – oder auch schon nicht mehr ganz so neue – Medium des Druckes. Neu war zu jener Zeit, dass das Medium billiger hergestellt werden konnte. In Basel gab es bekanntlich zahlreiche berühmte Druckereien, die auch sehr bald die Schriften Luthers gedruckt haben. Noch 1517 erschienen hier die 95 Thesen, 1518 eine erste Sammelschrift. Dabei gingen die Drucker übrigens ganz geschickt vor. Von den Gegnern Luthers haben sie den ungeschickten und aus meiner Sicht auch – Sie erlauben, das Urteil, das wir uns als Historiker eigentlich nicht erlauben sollten – dummen Prierias mit abgedruckt, nicht aber den gescheiten Gegner Johannes Eck. Und neben den Büchern wurden Flugblätter gedruckt, die auch in Basel sehr polemisch und satirisch und, aus heutiger Sicht müssen wir dies so sagen, zum Teil unter der Gürtellinie waren. Ebenso zeichneten sich Predigten häufig durch einen aggressiven und feindseligen Grundton aus. Das Schwierige für uns ist, dass Predigten nur als Nachschriften oder als ausgearbeitete Texte überliefert sind. Auch so erkennen wir aber, dass sie hochpolemisch und nicht selten gehässig, aber auch rhetorisch geschickt waren. Diese Predigten hätten unter den damaligen Voraussetzungen wahrscheinlich auch uns mitgerissen!

Bildnis des Johannes Oekolampad, um 1531/50.  Hans Asper. Kunstmuseum Basel
Bildnis des Johannes Oekolampad, um 1531/50. Hans Asper. Kunstmuseum Basel

Was Sie damit ansprechen ist eine weitere faszinierende Seite der städtischen Reformationsgeschichte: Die Wirkung von Reformatoren als Prediger. Die Reformatoren waren nicht nur in ihren Schriften präsent, sondern auch in ganz konkreten Situationen. Damit möchten wir nochmals zu Erasmus zurückkommen, der ja hier in Basel physisch anwesend war. Machte dies einen Unterschied im Vergleich zu anderen Städten, die Erasmus bloss aus seinen Schriften kannten?

 

Ich glaube schon, aber um dies genau zu wissen, müsste ich einen zweiten Band zur Basler Reformation schreiben, der die Zeit nach 1529 behandelt. In der Stadt wurde das Klima nach dem Durchbruch der Reformation und nach der Abreise von Erasmus ausgesprochen repressiv, aber es folgte sehr schnell, spätestens ab 1532, wieder eine tolerantere Phase. Natürlich nicht verglichen mit heute, aber im Vergleich zu anderen Städten wie Bern oder Zürich. Basel blieb bis in die 1580er Jahre eine verhältnismässig tolerante Stadt. Hierbei spielte bestimmt eine Rolle, dass Leute anwesend waren, die Erasmus persönlich gekannt haben. Es macht einen Unterschied, ob ein Autor nur durch seine Schriften oder auch durch seine Persönlichkeit wirkt und gewirkt hat.

Sie sprechen damit die Nachwirkung von Erasmus an. Wie sieht es Ihrer Meinung nach bezüglich der Zeit, als Erasmus noch lebte, aus?

 

Zu erwähnen ist hier ganz sicher ein Gutachten von Erasmus, das in der Forschung kaum beachtet wurde. Der Rat hat Ende 1524 keine Disputation, also kein Streitgespräch zwischen Gelehrten organisiert, um zu einer Entscheidung in der Reformationsfrage zu kommen, sondern ein Gutachten eingeholt. Er hat den schon damals als «neutrale» Person bekannten Erasmus – der übrigens ein Nachbar der beiden Bürgermeister am Nadelberg war – mit diesem Gutachten beauftragt. Auch später hat der Rat Gutachten von Erasmus und anderen, aber auch von beiden Glaubensparteien, also von Anhängern und Gegnern der Reformation verlangt. In Zürich wurden Gutachten, soweit ich dies überblicke, immer nur von einer Seite eingeholt, nämlich von Zwingli. Dass in Basel beide Seiten in Gutachten zu Wort gekommen sind, halte ich schon für ziemlich erasmisch.

Waren solche Gutachten also etwas Spezifisches, was die Basler Reformation von anderen Stadtreformationen unterscheidet?

 

Es ist immer schwierig zu beurteilen, was Zeitgeist war und was spezifisch für einen bestimmten Ort. Um Ihre Frage abschliessend zu beantworten, müsste man weitere Forschungen anstellen. Breit untersucht sind bisher nur die vielen Disputationen, die in den meisten Städten den schnellen und konsequenten Durchbruch der Reformation einläuteten. Das lange Festhalten an den Gutachten ist in Basel insofern schon auffallend, ebenso die relativ lange Zeit, die es dauerte, bis in Basel eine Entscheidung fiel. Ähnlich lange dauerte es in Schaffhausen, wo man Erasmus auch sehr schätzte. Die Frage der Gewissensfreiheit, die damit verbunden ist, war in Basel sehr virulent. Aber auch in dieser Hinsicht gibt es vergleichbare Orte, beispielsweise Glarus, wo die Gewissensfreiheit diskutiert und auch mehr oder weniger gewährt wurde, wobei die Basler dort kräftig vermittelt haben.

Als Faktor der Reformation betonen Sie sehr stark die Theologie. In den letzten Jahrzehnten gab es in der Reformationsgeschichtsschreibung die Tendenz, die Bedeutung der Theologie zu relativieren und stattdessen längere Prozesse zu beschreiben oder die Reformation mit wirtschaftlichen, politischen und sozialen Interessenlagen zu erklären. Wie sehen Sie dies aus Basler Sicht?

 

Ich denke, die Buchproduktion und die vielen Auflagen gewisser Bücher zeigen, wie bedeutend theologische Fragen damals waren. Rund ein Drittel der Werke, die zwischen 1517 und 1530 gedruckt wurden, waren reformatorischen Themen gewidmet, die anderen zwei Drittel sind dem Humanismus zuzuordnen. Die Zeitgenossen bezeugen zudem: Sie waren von Luther fasziniert, von seinem Bekenntnisakt, seiner Rechtfertigungslehre, dem Schriftprinzip, mit dem man die ganze kirchliche Hierarchie niederreissen konnte.

Christine Christ-von Wedel mit Daniel Sidler und Marcus Sandl im Gespräch
Christine Christ-von Wedel mit Daniel Sidler und Marcus Sandl im Gespräch

Sie haben als ein Basler Spezifikum die ausgleichende Politik des Rates angesprochen. Letztlich hat sich der Rat aber doch auf die Seite der Reformatoren geschlagen. Was waren die ausschlaggebenden Gründe für diese Entscheidung?

 

Der drohende Bürgerkrieg! Noch kurz vor der definitiven Entscheidung wollten die Ratsherren die Entscheidung jedem Einzelnen überlassen. Erst unter dem Druck der bewaffneten Menge vor dem Rathaus waren die Herren bereit, Messfeiern und Bilder in den Kirchen zu verbieten sowie diejenigen Ratsmitglieder, die sich gegen die Reformation stellten, auszuschliessen und den einen reformatorischen Glauben für alle vorzuschreiben. Die Entscheidung fiel also eindeutig auf Druck der Massen auf dem Markt- und Münsterplatz. Es drohte eine Revolte. Die Leute hatten sich des Zeughauses bemächtigt und die Männer waren sowieso bewaffnet. Jeder hatte mindestens ein Messer oder ein Schwert. Das gehörte damals zum freien Bürger. Wir sind damit bei Problemen, die auch heute wieder gelöst werden müssen. Ich erinnere nur an die Waffengesetze.

Sie bieten uns damit eine gute Überleitung zu unserer für heute letzten Frage. Frau Christ-von Wedel, wir haben nun hier ein Fachgespräch unter Historikerinnen und Historikern geführt. Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe, weshalb sich heute jemand – oder sagen wir konkreter: eine Leserin oder ein Leser der neuen Basler Stadtgeschichte – für die Reformationsgeschichte interessieren sollte?

 

Vieles haben wir bereits angesprochen. Ich möchte nochmals auf die Medien zurückkommen, die degoutanten Flugblätter zum Beispiel, die vor allem zwischen 1520 und 1522 verbreitet worden sind. Was damals die Flugblätter waren, ist heute etwa Twitter. Wir haben also wieder eine Medienrevolution. Da stellt sich für mich die Frage, wie lange dieses neue Medium eine solch grosse Rolle spielen wird wie momentan. Im Arabischen Frühling beispielsweise brachte Twitter die Leute auf die Strasse, so wie in der Reformationszeit die Flugblätter. Aber wie lange wird es so bleiben angesichts der «Fake News», die auf Twitter verbreitet werden, ohne dass Viele es vorerst merken? Auch hier sehe ich Parallelen zur Reformationszeit. Damals haben die Menschen ziemlich schnell gelernt, mit ihrem neuen polemischen Medium verantwortungsvoller umzugehen, und es ist zu hoffen, dass wir es auch lernen. Die Reformationszeit ist für uns weit genug entfernt, um sie als fremde, historische Zeit zu sehen und an ihr Überlegungen testen zu können. Natürlich war damals vieles anders, aber viele theologische und politische Streitfragen von damals sind auch Streitfragen unserer Zeit.

Autorin

Christine Christ-von Wedel ist Historikerin, Pfarrfrau, Sängerin und ehemalige Präsidentin der Basler Mission 21. Zur Reformationszeit in Basel hat sie zahlreiche Bücher und Artikel verfasst. Zuletzt als Buch erschienen sind «Glaubensgewissheit und Gewissensfreiheit. Die frühe Reformationszeit in Basel» (2017) und «Erasmus von Rotterdam. Ein Porträt» (2016, 2. Aufl. 2017). 2015 erhielt Christine Christ-von Wedel den Wissenschaftspreis der Stadt Basel.

Audiorundgang

Schauplätze der Basler Reformation

Die Historikerin Christine Christ-von Wedel nimmt uns mit zu den wichtigsten Schauplätzen der Reformationszeit in der Basler Altstadt. In kurzen Audiobeiträgen erzählt sie, was sich an den verschiedenen Orten abspielte, welche Bedeutung diese Ereignisse für den reformatorischen Umbruch hatten und wie sich der städtische Raum mit der Reformation veränderte.

Der Rundgang, den Stadt.Geschichte.Basel in Zusammenarbeit mit Christine Christ-von Wedel konzipiert hat, lässt sich bequem über die App izi.travel anhören.

Anhang

Christ-von Wedel, Christine. «Glaubensgewissheit und Gewissensfreiheit. Die frühe Reformationszeit in Basel» (2017)

Christ-von Wedel, Christine. «Erasmus von Rotterdam. Ein Porträt» (2016, 2. Aufl. 2017).