Turmreiches mittelalterliches Basel - wahr oder falsch?

Text: Christoph Matt

Wer sich das mittelalterliche Basel vorstellt, sieht in Gedanken vielleicht ein Gewimmel aus Türmen und Türmchen – so wie es unserem romantischen Bild mittelalterlicher europäischer Städte entspricht. Natürlich gab es im mittelalterlichen Basel Türme: Kirchtürme, Stadtmauertürme, Rittertürme, Wehrtürme und sogar Treppentürme und Latrinentürme. Doch wie «turmreich» war Basel im Mittelalter wirklich?

Kirchtürme

Ein Turm bei einer Kirche ist für uns so selbstverständlich wie das Amen in derselben. Doch die Liturgie schreibt ihn nicht vor. So kam der Gründungsbau von St. Peter aus dem 9./10. Jahrhundert ohne Turm aus. Ebenso die im 11. Jahrhundert gegründeten romanischen Kirchen St. Leonhard, St. Andreas und vielleicht auch St. Alban. Auch die Bettelordenskirchen trugen nur einfache Dachreiter. Wer zu jener Zeit in Basel nach Kirchtürmen suchte, fand sie offenbar einzig bei den Vorgängerbauten des heutigen Münsters: dem "Haito-Münster" aus dem 9. Jahrhundert und dem 1019 geweihten "Heinrichsmünster".

Stadtmauertürme

Häufiger waren im mittelalterlichen Basel die Stadtmauertürme. Auf dem frühneuzeitlichen – somit späteren – Merianplan zählt man entlang der äusseren Stadtmauer gleich vierzig davon. Hinzu kommen fünf Tortürme. Doch bereits bei der inneren Stadtmauer wird es problematisch. Beim Abschnitt am St. Alban-Graben steht kein einziger Turm, und die auf dem Plan gezeigten halbrunden Türmchen wurden wohl alle nachträglich an die Stadtmauer angebaut; zu einer Zeit, als man bereits Vorstädte mit eigenen Befestigungen angelegt hatte.

Merianplan Stadtmauertürme
Abb. 1: Auf dem Merianplan zählt man entlang der äusseren Stadtmauer vierzig Türme. Die eingefügten Turmsignaturen innerhalb der inneren Stadtmauer verweisen auf Wehrtürme (schwarz eingefärbt: archäologisch untersucht bzw. ikonographisch überliefert, weiss eingefärbt: nur aus historischen Quellen bekannt).

Stadtmauertürme

Bei einem kleinen Turm an der Stadtmauer am Petersgraben, gegenüber dem Kollegienhaus der Universität, haben sich im Innern gemalte florale Ornamente erhalten. Der kleine Turm gehörte zu einem Patrizierhaus am Nadelberg 10 – dem Zerkindenhof – und war eine Art Gartenhäuschen. Das dürfte auch für andere Türme dieser Art am Petersgraben gelten. Die Türme an der Stadtmauer am Leonhardsgraben waren Latrinentürme. Dazu zählt auch der Turm an der gehobenen Adresse Leonhardsgraben 49 – dem Gourmetrestaurant Teufelhof. Den Türmen entlang der inneren Stadtmauer begegnet man somit am besten mit Vorsicht. Sie waren keine «echten» Stadtmauertürme, sondern gehörten zu den damals weitläufigen Anwesen des Basler Patriziats mit teilweise "nüchterner" Funktion. Generell waren sie erst nachträglich an die Stadtmauer angebaut worden.

Turm Zerkindenhof
Abb. 2: Im Innern des kleinen Turms am Petersgraben, der einst zum Zerkindenhof gehörte, haben sich Reste von Wandmalerei erhalten (© Sabina Lutz).
Turm Bärenfelserhof
Abb. 3: Nur wenige Schritte vom kleinen Turm des Zerkindenhofs entfernt schmückte sich ein weiteres Patrizierhaus mit einem Turm. Dieser war sekundär an die Stadtmauer angebaut und einem Wehrturm nachempfunden – eine Art «militärarchitektonisches Accessoir» des Bärenfelserhofs (© Sabina Lutz).

Geschlechtertürme

Und die Türme der Basler Rittergeschlechter? Man kennt San Giminiano in der Toskana mit seinen übertrieben hohen Geschlechtertürmen. Auch in Bologna stehen noch deren zwei. Regensburg ist dafür bekannt und auch in Zürich sind sie zu finden. Doch gab es Geschlechtertürme in Basel? Gemäss einer früheren These sollen es rund zwanzig gewesen sein. Bewertet man die Quellen jedoch kritisch und zieht die Ergebnisse von Archäologie und Bauforschung heran, bleibt von der postulierten Basler Turmpracht wenig übrig. Denn die meisten "Türme" entpuppen sich als blosse Hausnamen, wie etwa das Eckhaus "Zum roten Turm", mit der Erstnennung 1457, eine winzige Parzelle am Fusse des Münsterbergs.

Als Geschlechtertürme im eigentlichen Sinn halten in der langen «Turmliste» höchstens ein halbes Dutzend einer Prüfung stand. Darunter zum Beispiel der nach Ritter Wernero de Schalon (1164) benannte "Schalonturm" an der Schneidergasse 12 oder der heute nicht mehr sichtbare "Schwarze Turm" im Gerbergässlein 2.

Schalonturm
Abb. 4: Verborgenes Basel: Hinter der unscheinbaren Eingangstür an der Schneidergasse 12 führt das St. Andreasgässlein zu einem winzigen Innenhof. Dort ist der «Schalonturm» sichtbar – eingebaut in die Hauswand (© Sabina Lutz).

Wehrtürme

Nun fehlen noch die Wehrtürme. Zu diesen gehört der bereits erwähnte "Salzturm", ein hoher, aus massiven Steinquadern erbauter Turm an der Birsigmündung bei der Schifflände. Zwei gleichartige, nur im Fundament erhaltene Türme wurden an der Schneidergasse und an der Stadthausgasse entdeckt. Zwei weitere vermutet man auf dem Marktplatz und im untersten Abschnitt der Freien Strasse.

Trotz ihrer imposanten Erscheinung gab man den Basler Wehrtürmen – mit Ausnahme des "Salzturms" – keine Namen. Die einheitliche Bauweise und Bauzeit um 1200 lassen als Bauherrn den Bischof als Stadtherrn vermuten. Interessanterweise wurden die Wehrtürme bereits nach wenigen Generationen im 13. Jahrhundert abgebrochen. Nur der Salzturm blieb bis 1829 bestehen. Vielleicht hängt dies mit einem aufstrebenden Bürgertum und Zunftwesen sowie einem erstarkenden städtischen Rat zusammen, der sich der sichtbaren Zeichen der bischöflichen Stadtherrschaft entledigen wollte.

Ausschnitt Merianplan Salzturm
Abb. 5: Ausschnitt aus dem Merian-Plan von 1615/17: Der Salzturm bei der Mittleren Brücke.
Bestattungen im Musiksaal
Abb. 6: Die Lithographie eines unbekannten Künstlers zeigt die Schifflände mit dem Schiffleutenzunfthaus, dem Rheinlagerhaus, dem Salzturm und dem Gasthof zu Drei Königen (© Staatsarchiv Basel-Stadt).

Wie turmreich war das mittelalterliche Basel?

So selbstverständlich, wie man sie annimmt, sind Türme im mittelalterlichen Basel folglich nicht. Manch schlankes und hohes Haus hat sein Erscheinungsbild zum Anlass genommen, sich mit einem "Turmnamen" gewissermassen "aufzurüsten". Die Gründungsbauten vieler Kirchen kamen ohne Kirchtürme aus, und selbst Türme an der Stadtmauer konnten zu Wohnhäusern gehören. Ausgerechnet die massivsten und eindrucksvollsten unter den Basler Türmen – die Wehrtürme – blieben mit einer Ausnahme namenlos und verschwanden nach wenigen Generationen aus dem Stadtbild.

Wer sich das mittelalterliche Basel im Stil einer turmreichen romantischen Burgendarstellung vorstellt, wird enttäuscht sein. Denn wie es eine elsässische Quelle des ausgehenden 13. Jahrhunderts beschreibt: "Die Strassburger und Basler lebten in armseligen Stadtmauern und Bauwerken, aber in noch viel geringeren Häusern mit wenigen guten und sehr kleinen Fenstern und entbehrten des Lichts. Die Vornehmen hatten kleine Türmchen, die sie vor ihresgleichen kaum verteidigen konnten".

Autor

Christoph Matt war langjähriger Mitarbeiter der Archäologischen Bodenforschung Basel-Stadt. Als Fachperson konzipiert er Band 2 (800-1270 n. Chr.) der neuen Basler Stadtgeschichte mit. Er ist Mitglied des Vereins Basler Geschichte.

Quellen

Christoph Matt, «mit maneger burc vil schone» - Turmbau zu Basel? In: Mille fiori. Festschrift Ludwig Berger (Augst 1998) 303-311.

Abb. 1: Merianplan: Staatsarchiv Basel-Stadt, Bild 1, 291 [bearbeitet].

Abb. 2: Turm Zerkindenhof: Sabina Lutz, 2020.

Abb. 3: Turm Bärenfelserhof: Sabina Lutz, 2020.

Abb. 4: Schalonturm: Sabina Lutz, 2020.

Abb. 5: Salzturm: Ausschnitt Merianplan [bearbeitet].

Abb. 6: Schifflände: Staatsarchiv Basel-Stadt, BILD 1, 539.