"Nach schweizerischem Empfinden absurd" - Der Streik der Basler Lehrerinnen 1959

Text: Antonia Schmidlin

Am 1. Februar 1959 sagen die Schweizer Männer Nein zum eidgenössischen Stimm- und Wahlrecht für Frauen. Für die Lehrerinnen am Basler Mädchengymnasium ist damit das Ende der Fahnenstange erreicht: Sie treten am 3. Februar in den Streik.

Frauenstreik am Kohlenberg

Am 1. Februar 1959 stimmen die Schweizer Männer zum ersten Mal auf eidgenössischer Ebene über das Frauenstimmrecht ab. Mit zwei Dritteln zu einem Drittel sagen sie Nein und erklären damit die Schweizerinnen weiterhin für politisch unmündig.

Am Montagmorgen nach der Abstimmung treffen sich die Lehrerinnen des Basler Mädchengymnasiums am Kohlenberg in der Pause im Lehrerinnenzimmer, wie immer getrennt von ihren Kollegen. Empört über das Abstimmungsresultat schlägt die Konrektorin Rut Keiser vor, am darauffolgenden Tag in den Streik zu treten. Mit Ausnahme der beiden nicht festangestellten Lehrerinnen unterzeichnen alle Kolleginnen eine Solidaritätserklärung. Am Dienstag, den 3. Februar, muss die Schule um 9 Uhr schliessen, weil das männliche Kollegium den Unterrichtsbetrieb nicht aufrechterhalten kann.

Im Schulinspektorat, Erziehungsrat, Grossrat und im Regierungsrat wird über die Lehrerinnen debattiert. Ihr Verhalten wird als "politisch unklug" und "kontraproduktiv" beurteilt, der Streik als schlechtes Vorbild für die Schülerinnen bezeichnet. Oder wie es die Tageszeitung Basler Nachrichten vom 7./8. Februar formuliert: "Männer mögen auf Männerart kämpfen. Frauen werden auf frauliche Art weiterkommen! Politische Streike sind nicht fraulicher Art. Frauenstreike aber, und grad noch Lehrerinnenstreike sind nach schweizerischem Empfinden absurd."

Mädchengymnasium Kohlenberg, 1920
Abb. 1: Das Basler Mädchengymnasium am Kohlenberg, Bild aus dem Jahr 1920, damals als "Töchterschule" bezeichnet (© Staatsarchiv Basel-Stadt).

Ein beschwerlicher Weg

Mit dem Streik greifen die Basler Lehrerinnen zu einer politischen, und damit aus damaliger Sicht "männlichen" Protestform. Diese "Anmassung" wird entsprechend geahndet: Die Lehrerinnen werden mit einem Lohnabzug in der Höhe eines Tagesverdienstes und einem schriftlichen Verweis bestraft. An der Basler Fasnacht 1959 werden Rut Keiser und Iris von Roten, deren Buch "Frauen im Laufgitter" soeben erschienen war, verunglimpft und damit gleichsam gesellschaftlich geahndet.

Fasnacht vor 1928
Abb. 2: Schon vor 1959 war das Mädchengymnasium ein Fasnachtssujet. Bild aus der Zeit vor 1928, die Töchterschule wird als "Trybhus fir iberspannti Pflänzli" bezeichnet (© Staatsarchiv Basel-Stadt).

Aber nicht nur in Basel protestieren Frauen gegen die Ablehnung des Frauenstimmrechts. In Zürich werden Plakate, die für einen Beitritt zum militärischen Frauenhilfsdienst FHD werben, mit dem Spruch "nicht ohne Frauenstimmrecht" überklebt, und der 1. Februar wird in den folgenden Jahren mit einem Fackelzug begangen. Die Ablehnung des Frauenstimmrechts auf Bundesebene führt zu einer Veränderung: Die Kämpferinnen für das Frauenstimmrecht treten nun energischer auf als die Generation ihrer Mütter.

Fackelumzug, 1961
Abb. 3: In den Jahren nach dem Nein organisierten Frauen in Basel und anderswo immer am 1. Februar Fackelzüge. Dieses Foto entstand 1961 (© Staatsarchiv Basel-Stadt).

Die erste Generation der Aktivistinnen für das Frauenstimmrecht findet sich 1909 im Schweizerischen Verband für Frauenstimmrecht zusammen. Die Frauen verbindet die Überzeugung, dass die "Taktik der kleinen Schritte" mehr bringe als ein resolutes Fordern. Aus Angst davor, als "Suffragetten" oder "Blaustrümpfe" stigmatisiert zu werden, wollen sie eher bitten als fordern. Eine tragende Gruppe dieser ersten Generation sind die Lehrerinnen.

Neben Ärztin ist Lehrerin einer der Berufe, in denen eine höhere Ausbildung und die Berufstätigkeit von Frauen schon im 19. Jahrhundert gesellschaftlich akzeptiert ist. Denn hier sind Fähigkeiten gefragt, die als "von Natur aus weiblich" gelten: erziehen, pflegen, heilen. Ausserdem lässt sich das erlernte Wissen bei einer späteren Heirat in den Dienst der Familie stellen.

Mutter und Hausfrau

Die Tätigkeit als Mutter und Hausfrau bleibt denn auch das eigentliche Ziel: Sobald eine Lehrerin heiratet, muss sie gemäss der sogenannten Zölibatsklausel ihre feste Stelle aufgeben. Sie wird damit vor die Wahl gestellt: Heirat oder Beruf. Diejenigen, die sich für den Beruf entscheiden, müssen alleine leben: Das Konkubinatsverbot untersagt einem ledigen Paar, zusammen zu wohnen. Diese Vorschriften schränken die freie Lebensgestaltung massiv ein.

Einen "Vorteil" haben diese Einschränkungen jedoch: Von Familienpflichten entbunden, haben die Lehrerinnen Zeit, sich für gesellschaftliche und politische Belange zu engagieren. Es ist also kein Zufall, dass 1959 gerade die Lehrerinnen mit einer politischen Aktion gegen das abgelehnte Frauenstimmrecht protestieren.

Stimmberechtigt, aber nicht gleichgestellt

Nach und nach verändern sich die gesellschaftlichen Spielregeln. 1962 fällt in Zürich die Zölibatsklausel für Lehrerinnen, in Basel-Stadt 1965, und bald können Paare in vielen Kantonen auch ohne Trauschein zusammenleben. Der Wirtschaftsboom schafft viele neue Arbeitsplätze, und macht Frauen zu gefragten Arbeitskräften.

Die Argumente gegen das Frauenstimmrecht überzeugen immer weniger. Bei den Männern findet ein Umdenken statt: In etlichen Kantonen stimmen sie dem kantonalen Frauenstimmrecht zu, so in Basel 1966. Das eidgenössische Frauenstimmrecht wird 1971 angenommen. 1990 muss Appenzell Innerrhoden nach einem Bundesgerichtsentscheid als letzter Kanton das kantonale Stimm- und Wahlrecht für Frauen einführen.

Freudenkundgebung Frauenstimmrecht, 1966
Abb. 4: Freudenkundgebung zum Frauenstimmrecht am 26. Juni 1966. Am Stehpult: Frauenrechtlerin Rut Keiser (© Staatsarchiv Basel-Stadt).

Dieses Recht hebt aber nicht alle Ungleichheiten auf: Bis zur Einführung des neuen Eherechtes im Jahre 1988 bleibt der Ehemann das alleinige Familienoberhaupt. Und obwohl das Gleichstellungsgesetzt von 1996 Diskriminierung im Bereich der Erwerbstätigkeit verbietet, liegt der durchschnittliche Männerlohn noch heute über dem durchschnittlichen Frauenlohn, dies auch bei gleicher Ausbildung und beruflicher Stellung.

Quellen

Literatur

Krattiger, Ursa (Hrsg.): "Randalierende Lehrerinnen" - der Basler Lehrerinnenstreik vom 3. Februar 1959 (Basel 2009).

Abb. 1: Staatsarchiv Basel-Stadt, BSL 1045c 3-22-7.

Abb. 2: Staatsarchiv Basel-Stadt, NEG A 2366.

Abb. 3: Staatsarchiv Basel-Stadt, BSL 1013 1-1532 2.

Abb. 4: Staatsarchiv Basel-Stadt, BSL 1013 1-3031 8.

Autorin

Antonia Schmidlin ist freischaffende Historikerin und unterrichtet Geschichte und Italienisch am Gymnasium Liestal. Sie ist Autorin verschiedener Publikation zur Geschichte der Schweiz im Zweiten Weltkrieg, zur Geschlechtergeschichte und zur Basler Regionalgeschichte. Sie ist Vorstandsmitglied des Vereins Basler Geschichte.

50 Jahre Frauenstimmrecht

Das Stickeralbum "Starke Frauen in der Basler Geschichte"
Das Stickeralbum "Starke Frauen in der Basler Geschichte".

Am 7. Februar 1971 erhielten die Schweizer Frauen das Stimmrecht auf nationaler Ebene. Zum Jubiläum veröffentlicht Stadt.Geschichte.Basel die Beitragsreihe "Starke Frauen in der Basler Geschichte". Wir berichten von Frauen, die wahrscheinlich wenige kennen, die aber ihre Spuren in der Stadtgeschichte hinterlassen haben: in Archiven, in Bibliotheken, auf Bildern, in Erzählungen, mit ihren Werken und ihrem Wirken, von der Antike bis in die Gegenwart. Weitere Porträts gibt es im gleichnamigen Stickeralbum, das Stadt.Geschichte.Basel zusammen mit dem Staatsarchiv Basel-Stadt veröffentlicht hat.