"Das gab ein riesen Theater!" -
Mütter in der Basler Chemie 1950-2000

Text: Nicholas Schaffner

Das Projekt "Oral History Chemie und Stadtkultur" spricht mit Arbeiter*innen in der Zeit der Hochblüte der Basler Chemie (1950-1990). Die gesammelten Geschichten zeigen, wie wenig über die Arbeitswelt der Frauen bislang bekannt ist und wie hart Frauen für die Vereinbarung von Beruf und Familie kämpften.

Keine Familienzulagen

Eine Gewährsfrau, nennen wir sie Christine Hauser, nahm 1967 bei der Ciba eine Stelle als Fremdsprachensekretärin an. Dann wurde sie schwanger. Der Geburtstermin war Anfang Januar. "Damals hat es geheissen, vier Wochen vorher und vier Wochen nachher gäbe es frei", erzählt sie. "Die vier Wochen vorher habe ich nicht nehmen können, weil der Chef gesagt hat, über Weihnachten kann er niemandem frei geben. Natürlich gab es trotzdem solche, die frei nehmen konnten, doch das waren solche, die schon länger da waren."

Aufgrund eines Infekts konnte Christine Hauser nach der Geburt erst im März wieder arbeiten gehen. Erst dann habe sie Kinderzulagen beantragt. "Das gab dann ein Riesentheater, weil nur der Mann Kinderzulagen bekommt." Ihr Mann war aber Student ohne Einkommen. "Dann habe ich aber gekämpft und Kinderzulagen bekommen – ab April." Also nicht rückwirkend auf den Geburtstermin. Familienzulagen gab es keine, obwohl Christine Hauser eine Familie zu versorgen hatte.

Kaum Betreuungsmöglichkeiten

Damals gab es kaum staatliche Krippen, und die wenigen, die es gab, waren gänzlich überfüllt. "Zum Glück haben wir dann Schwester Maria gefunden. Die hatte alles – vom Baby bis zum Siebenjährigen. Sie hat die Kinder angehalten, einander zu helfen, wie in einer Grossfamilie. Ich bin dann immer am späteren Vormittag und am frühen Nachmittag stillen gegangen, anstelle der Mittagspause."

Als der Sohn einige Jahre alt war, eröffnete Christine Hauser eine eigene Krippe nach Vorbild der um 1968 aufkommenden deutschen Kinderläden. "Die Betreuung war fest. Es gab eine Kindergärtnerin und eine Köchin. Alles andere haben die Mütter und Väter selber gemacht. Auch die Betreuung, halbtags oder stundenweise. Ich bin am Samstag putzen gegangen", lacht sie.

«Wegen «ein paar Goofen» müssten die Herren da oben nichts besprechen.

Eine Frau gegen Frauen

1970 fusionierten Ciba und Geigy. Christine Hauser wechselte in das Werk Rosental, das älteste der Basler Chemie-Areale. Dort, in der Mattenstrasse, stellte Ciba-Geigy zehn Plätze in einer GGG-Krippe zur Verfügung. Zu diesen zehn Plätzen eröffnete Hauser eine weitere Krippe für die Angestellten. Diese Krippe lag gegenüber vom Badischen Bahnhof und war offen für alle Altersklassen bis sieben Jahre. Hauser rechnete das Konzept durch und reichte den Antrag gemeinsam mit weiteren Müttern ein. Das Essen hätte aus der Firmenkantine bezogen werden können. Doch der Antrag wurde abgelehnt – ohne jemals in einer Sitzung behandelt worden zu sein. Eine der Antragsstellerinnen, die im Verwaltungsgebäude arbeitete, wusste das von ihrem Chef.

"Dann haben wir beschlossen," erinnert sich Hauser, "wir gehen mit unseren Kindern vor das Verwaltungsgebäude bei der Dreirosenbrücke und fragen, wo wir denn hin sollen mit ihnen. Die kommen nach den Frühlingsferien in die Schule! Und dann ist der Chef der Antragstellerin, die über die Sitzung berichtet hatte, gekommen, und hat gesagt, er würde das in der nächsten Sitzung als Traktandum bringen. Es würde eine Lösung gesucht. Anscheinend hat die Sekretärin, die für die Sitzungstraktanden zuständig war, von sich aus entschieden, wegen «ein paar Goofen» müssten die Herren da oben nichts besprechen". Es war eine Frau, die sich den Frauen in den Weg stellte. Dem Antrag wurde stattgegeben.

Kinderhort Rosental im Jahr 1965. Bild: Firmenarchiv Novartis AG.
Kinderhort Rosental im Jahr 1965. Bild: Firmenarchiv Novartis AG.

Ein Förderer von Frauen und Familien

Die Wende folgte auf eine Tragödie. "Das war eine ganz traurige Geschichte," erinnert sich Hauser. Der Divisionsleiter Pharma, Gaudenz Staehelin, ging eines Abends mit seiner Frau aus. Die Kinder liessen sie alleine zuhause, was damals nicht ungewöhnlich war. Da brach wegen einer defekten Lampe ein Brand aus. Die Kinder kamen ums Leben. Dieses schreckliche Ereignis stiess eine Diskussion über die Betreuung von Kindern an.

"Also der Staehelin war ein feiner Typ", berichtet Hauser. "Er war der Meinung, dass die Frauen viel zu wenig Rechte hätten. Er hat dann angefangen, Foren einzurichten. Dort konnte man hingehen und sagen, was einen stört. Staehelin hat zudem Frauengruppen bilden lassen. Ich selber hätte eine Gruppe übernehmen sollen, und zwar jene der berufstätigen Mütter." Solche Initiativen waren für die damalige Schweiz einzigartig.

Ein weiterhin langer Weg

Auf die Kinderkrippen folgten weitere Massnahmen zur Förderung von Frauen und Familien in der Basler Chemie. 1975 forderte eine Arbeitsgruppe von sechs Mitarbeiterinnen "Gleiche berufliche Entwicklungsmöglichkeiten für alle Ciba-Geigy Angestellten". Seit 1978 gilt im kaufmännischen Bereich die Lohngleichheit für Frau und Mann. 1979 erklärte die Konzernleitung, mehr Führungspositionen mit Frauen zu besetzen. 2019 sind drei der dreizehn Verwaltungsratssitze mit Frauen besetzt.

Autor

Nicholas Schaffner ist Geschäftsleiter der Schindler Sozialdienste sowie Wissenschaftlicher Leiter des Vereins für Industrie- und Migrationsgeschichte der Region Basel. Er ist promovierter Kulturanthropologe mit Schwerpunkt politische Anthropologie, Jugendkulturforschung und Industriegeschichte. Er ist Mitglied des Vereins Basler Geschichte.

Quellen

Abb. 1: Firmenarchiv der Novartis AG. Geigy ASS 3_Kinderhort Rosental_1965.