"Der grosse Tag der Basler Frauen" – 1954 werden die Baslerinnen zum Frauenstimmrecht befragt

Text: Noëmi Crain Merz

Zwölf Jahre vor der Einführung des Frauenstimmrechts im Kanton Basel-Stadt sprechen sich die Baslerinnen für die politische Gleichberechtigung aus. Der männliche Souverän ignoriert ihre Meinung.

Die Männerdemokratie

Nach dem Zweiten Weltkrieg wird die Schweiz zu einem geschlechterpolitischen Sonderfall. Weder die Einführung des Frauenwahlrechts in fast ganz Europa noch die Gründung der UNO, die das Wahlrecht unabhängig von Religion, Rasse oder Geschlecht zum Menschenrecht erklärt, ändern etwas an der Haltung der meisten Schweizer Männer. Sie sind mit ihren weitreichenden demokratischen Rechten rundum zufrieden und finden deren Ausweitung auf die Frauen unnötig. Die Schweizer Demokratie funktioniere wirklich vorbildlich, konstatiert die deutsche Wochenzeitung "Die Zeit" 1953: Das liege wohl daran, dass die Männer an der Macht "in dem einen Interesse vereint sind, ungeteilt diese Herrschaft zu behaupten."

Wird in Parlamenten auf kantonaler und nationaler Ebene über das Frauenstimmrecht debattiert, hört man oft das Argument, die Frauen wollten die politische Mitsprache gar nicht. Wer fordert, man solle die Meinung der Frauen erfragen, wird zum Verstummen gebracht – mit zweifelhaften Argumenten. 1945 weisen Chefbeamte Bundesrat von Steiger, den Justizminister, darauf hin, eine Befragung der Frauen ergebe ein falsches Bild, da wohl nur die Befürworterinnen teilnehmen würden. Und selbst wenn die nicht Abstimmenden nicht durchwegs Gegnerinnen wären, gebe es keinen Grund, "jemandem das Stimmrecht einzuräumen, der es nicht einmal für nötig hält, an einer Probeabstimmung für die Einführung dieses Rechtes teilzunehmen."

Ein "moralischer Erfolg"

Dennoch führen zwei Kantone Probeabstimmungen unter den Frauen durch, die wie Männerabstimmungen organisiert sind. Nach Genf 1952 folgt Basel-Stadt am 21. Februar 1954. Die oft geäusserte Befürchtung, nur die befürwortenden Frauen gingen zur Urne, tritt nicht ein. Mit 59.4 Prozent ist die Stimmbeteiligung ähnlich hoch wie bei Männerabstimmungen, und auch sonst verläuft alles wie bei einer "richtigen" Abstimmung des Männervolks.

Frauenbefragung 1954
Abb. 1: Einem Journalisten der Basler Nachrichten zufolge eine Schar mit Disziplin: Teilnehmerinnen der Frauenbefragung am 21. Februar 1954 (© Staatsarchiv Basel-Stadt).

Ein Journalist der Basler Nachrichten zeigt sich auf seinem Rundgang durch die Wahllokale beeindruckt von den "Scharen" von Frauen, die schon vor der Öffnung vor den Wahllokalen warten und dennoch "eine solche D i s z i p l i n an den Tag [legen], dass ein erfahrenes Mitglied des Wahlbureaus sie glattweg als v o r b i l d l i c h bezeichnete."

Einziger Wermutstropfen sind Klagen von Frauen, ihre Ehemänner hätten die Stimmrechtsausweise zerrissen. Sonst läuft alles reibungslos ab. Für betagte Frauen haben die Organisatorinnen einen Abholdienst organisiert, Kranke und Ortsabwesende dürfen schriftlich abstimmen. Das Resultat ist ein grosser Erfolg für die Stimmrechtlerinnen: 72.6 Prozent legen ein Ja in die Urne.

Rechtlich ist es zwar nicht bindend, doch nun könne niemand mehr "mit gutem Gewissen" behaupten, im Sinne der Mehrheit der Frauen zu handeln, wenn man ihnen das Stimmrecht verweigere, wie die Basler Tageszeitungen am folgenden Tag einhellig kommentieren.

Frauenbefragung 1954
Abb. 2: 33'166 Frauen - 72.6 Prozent - legten ein Ja in die Urne (© Staatsarchiv Basel-Stadt).

"Kaibe Saich"

Das Aktionskomitee für die Basler Frauenbefragung spricht ein paar Tage später beim Regierungspräsidenten Carl Peter im Rathaus vor und bittet ihn, vorwärts zu machen mit der geplanten Männerabstimmung zum Frauenstimmrecht. Würde diese schon auf Ende Mai angesetzt, wäre das Ergebnis der Frauenbefragung noch frisch in den Köpfen der Stimmberechtigten. Der katholisch-konservative Vorsteher des Justizdepartementes zeigt sich unbeeindruckt: "Glauben Sie ja nicht, dass Sie dem Frauenstimmrecht etwas nützen, wenn die Männerabstimmung bald kommt. Die meisten Männer werden im Gegenteil denken: ‘Jetzt kunnt me scho wieder mit däm kaibe Saich’."

Tatsächlich kümmert das Resultat die Basler Stimmbürger wenig. Sonst so stolz auf "die Demokratie", drehen die Gegner nun argumentative Pirouetten: "Wir sind nicht gezwungen, uns dem Wunsch der Majorität zu fügen", meint der katholisch-konservative Redaktor Heinz Kreis von den "Basler Nachrichten". Denn besagt die Abstimmung der Frauen wirklich, "dass die Mehrheit recht hat?" Ein ähnliches verqueres Demokratieverständnis tut die NZZ kund: "Wie ist die Meinung der rund 31'000 Frauen zu werten, die der Urne fernblieben?" Deren Meinung wird auch weiterhin die Phantasie der Frauenstimmrechtsgegner beschäftigen – offenbar weit mehr als die der 33’166, die Ja gestimmt haben.

Zum Urnengang über das kantonale Frauenstimmrecht kommt es am 5. Dezember – Monate später, als von den Frauenrechtlerinnen und ihren Verbündeten im Grossen Rat verlangt. Doch einmal mehr, es ist bereits das vierte Mal nach 1920, 1927 und 1946, sagen die Basler Männer Nein – mit 54.9 Prozent. Hätte man die beiden Abstimmungen zusammengenommen und damit nicht nur die Stimmen der Männer, sondern auch jene der Frauen gezählt, wäre es ein deutliches Ja geworden. Doch stattdessen wird – wie Iris von Roten fünf Jahre später formuliert – "im Namen der Demokratie […] die Demokratie mit Füssen getreten."

Das verbindliche Ja

Ab Anfang der 1960er Jahre stösst das Anliegen zunehmend auf Akzeptanz. Am 26. Juni 1966 bejahen 60 Prozent der Basler das Frauenstimmrecht auf Kantonsebene, bei einer Stimmbeteiligung von nur gerade 34 Prozent. Basel-Stadt wird zum Pionierkanton der Deutschschweiz. Als 1971 die nationale Abstimmung ansteht, haben sich die Basler an politisierende Frauen gewöhnt. Nur noch 17.8 Prozent legen ein Nein in die Urne.

Quellen

Literatur

Georg Kreis (Hg.), Das Basler Frauenstimmrecht: der lange Weg zur politischen Gleichberechtigung von 1966 (Basel 2016).

Abb. 1: Staatsarchiv Basel-Stadt, BSL 1013 1-534 1, Archiv Hans Bertolf.

Abb. 2: Staatsarchiv Basel-Stadt, BSL 1013 1-534 5, Archiv Hans Bertolf.

Autorin

Noëmi Crain Merz ist Autorin von Band 7 der Basler Stadtgeschichte. Zurzeit arbeitet sie vor allem zur nationalen und internationalen Frauenbewegung. Sie liebt die Vielfalt der Geschichtsvermittlung. An der Universität Basel lehrt sie Neuere Geschichte, am Landesmuseum Zürich ist sie Co-Kuratorin der Ausstellung "Frauen.Rechte", die den Weg der Schweizerinnen zur Gleichberechtigung im Gesetz aufzeigt. Mit einem Augenzwinkern befassen sich das von ihr mitkonzipierte Leiterlispiel Ab ins Bundeshaus! (Verlag Hier und Jetzt) und der Trickfilm Von Bürgern und "Bürgerinnen" mit dem Frauenstimmrecht.

50 Jahre Frauenstimmrecht

Das Stickeralbum "Starke Frauen in der Basler Geschichte"
Das Stickeralbum "Starke Frauen in der Basler Geschichte".

Am 7. Februar 1971 erhielten die Schweizer Frauen das Stimmrecht auf nationaler Ebene. Zum Jubiläum veröffentlicht Stadt.Geschichte.Basel die Beitragsreihe "Starke Frauen in der Basler Geschichte". Wir berichten von Frauen, die wahrscheinlich wenige kennen, die aber ihre Spuren in der Stadtgeschichte hinterlassen haben: in Archiven, in Bibliotheken, auf Bildern, in Erzählungen, mit ihren Werken und ihrem Wirken, von der Antike bis in die Gegenwart. Weitere Porträts gibt es im gleichnamigen Stickeralbum, das Stadt.Geschichte.Basel zusammen mit dem Staatsarchiv Basel-Stadt veröffentlicht hat.