Epidemie und Archäologie: Verlauste Truppen verbreiten das Fleckfieber

Text: Sophie Hüglin & Norbert Spichtig

Als Folge des Durchmarschs und der Einquartierung von Truppen der siegreichen Gegner Napoleons – Österreich, Preussen und Russland – grassierte 1814 das Fleckfieber in Basel. Tausende wurden Opfer der von Kleiderläusen übertragenen bakteriellen Infektion. Bestattungen in den Kirchen werden verboten und Notfriedhöfe an der Stadtgrenze eröffnet. Die Archäologische Bodenforschung hat auf dem Gebiet des Kantons Basel-Stadt 1976 und zuletzt 2019 Massenbestattungen angetroffen, die sich mit der Fleckfieber-Epidemie von 1814 in Verbindung bringen lassen. Durch eine frühzeitige Gabe von Antibiotika ist die Krankheit heute gut heilbar.

Kriegselend und Truppenbewegungen in Europa

Wie schon vielfach im Verlauf des Mittelalters wurde das Fleckfieber für Napoleons Armee und ihre vereinten Gegner während des Russlandfeldzugs zu einem Problem. Die Kälte des Winters 1812/13 zwang die Soldaten, ihre Uniform durchgehend zu tragen. Außerdem nutzten sie Kleidungsstücke Gefallener, um sich warm zu halten. Die mit Rickettsien-Bakterien infizierten Läuse konnten sich daher leicht vermehren.

Beim Rückzug der im Juni 1812 nach Russland gezogenen "Grande Armée" im Herbst 1813 war Mainz die erste Rast auf französischem Boden. Dort starben 15'000 bis 17'000 Mann der französischen Besatzung und ebenso viele Zivilisten. Die Krankheit, welche damals wegen der dabei auftretenden neurologischen Symptome auch als "Nervenfieber" bezeichnet wurde, blieb als "Typhus de Mayence" (nach dem französischen Namen für Mainz) in der französischen Sprache erhalten.

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Abb. 1: Marsch der alliierten Truppen über die Basler Rheinbrücke am 21. Dezember 1813.

Soldaten bringen die Krankheit nach Basel

Nach der Niederlage von Napoleons "Grande Armée" in der Völkerschlacht bei Leipzig passierten zwischen Dezember 1813 und Juni 1814 Zehntausende von Angehörigen der vereinigten Armeen auf ihrem Vormarsch nach Westen gegen Napoleon auch Basel (Abb. 1). Am 20. Dezember 1813 sollen es allein etwa 80'000 gewesen sein. Am 13. Januar 1814 überquerten die drei Monarchen, Zar Alexander I. von Russland, Kaiser Franz I. von Österreich und König Friedrich Wilhelm III. von Preussen, hoch zu Ross die Rheinbrücke und bezogen in Basel Unterkunft. 32'000 Soldaten der russisch-preussischen Garden und die österreichische Reservedivision des Generals Trautenberg wurden in Basel und Umgebung einquartiert.

Als Folge der Überbelegung grassierten Fleckfieber und andere Krankheiten nicht nur in den provisorischen Lazaretten, sondern auch in den privaten Haushalten, wo das Militär zwangsweise einquartiert worden war. Die Zahl der in diesem Zeitraum in Notspitälern und Lazaretten verstorbenen Soldaten ging in die Tausende. Auch gegen 800 in Basel ansässige Zivilpersonen sollen damals den Tod gefunden haben (Abb. 2). Die Stadt hatte damals ca. 16'000 bis 17'000 Einwohner.

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Abb. 2: "Das schreckliche Nervenfieber", Basel 1814, Tuschzeichnung vermutlich von Jeremias Burckhardt.

Sondererlass und Notfriedhöfe

Wegen der Ansteckungsgefahr erliess deshalb das Sanitätskollegium das Verbot, Bestattungen in den Kirchen innerhalb des Stadtgebiets vorzunehmen. Ein neuer Friedhof vor dem St. Johanns-Tor sollte angelegt werden. Eine andere Quelle beschreibt die Lage von zwei Notfriedhöfen an der westlichen Grenze des Stadtgebiets: "Auf dem freien Feld, links von der Hüningerstrasse wie auch am rechtsseitigen Rheinufer, etwa zweihundert Schritte unterhalb der Kaserne, liegen die Massengräber aus der Alliiertenzeit" (Burckhardt-Werthemann 1925, 31). Diese Notfriedhöfe scheinen Bestattungsarealen zu entsprechen, die bei archäologischen Grabungen zum Vorschein gekommen sind (Abb. 3).

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Abb. 3: Lage der archäologisch erfassten Notfriedhöfe mit Bezug zur Epidemie von 1814. Auf Grossbasler-Seite (Westen) die Fundstelle Kohlenstrasse 84 (1976), auf Kleinbasler-Seite (Osten) die Fundstelle Unterer Rheinweg 28 (Kaserne) (2019).

1976: Skelettfunde an der Grenze zu Frankreich

Nördlich der Hüningerstrasse, an und teils auf der Landesgrenze zu Frankreich wurden menschliche Bestattungen beobachtet. 1976 hatte die Archäologische Bodenforschung sechs sich teils überlagernde Individuen ohne weitere Funde auf einer relativ kleinen Fläche archäologisch geborgen (Grabung Kohlenstraße 84, 1976/8). Die Ausgräber berichten, die Lage der Skelette liesse "darauf schließen, daß die Toten hier nicht ordentlich bestattet, sondern lieblos in eine flache Grube geworfen und mit Erde zugedeckt wurden" (BZ 1977, 77).

Die Fundlosigkeit der Toten deckt sich gut mit zeitgenössischen Quellen, die berichten, dass die Verstorbenen zur Beisetzung ohne Kleider aus der Stadt gebracht wurden. Die Kleider und Leintücher wurden auf Plätzen verbrannt (Burckhardt-Werthemann 1925, 31). Das rudimentäre Gesundheitswesen war völlig überfordert, da sich auch noch die wenigen Ärzte und das Pflegepersonal ansteckte. Nur zwei Ärzte sollen die Epidemie heil überstanden haben (Meier 1970, 56).

2019: ein Massengrab bei der Kaserne

Bei archäologischen Ausgrabungen im nördlichen Anbau der Kaserne wurde ein Massengrab mit 27 Skeletten angetroffen. Auf der Sohle des ehemaligen Stadtgrabens kamen zwei quer dazu verlaufende, schmale Gräben zum Vorschein. In einem dieser Gräben lagen auf engstem Raum menschliche Skelette, die alle von jungen Männern stammen. Sie lagen neben- und übereinander in Bauch- und in Rückenlage im Graben (Abb. 4).

Auch im zweiten angeschnittenen Graben werden Skelette vermutet. Da dieser aber vom Umbau nicht betroffen ist, wurde er nicht weiter freigelegt. Bei den Skeletten fanden sich zwei Kreuzanhänger (Abb. 5) und einige wenige Knöpfe; erstere lassen sich Ende 18./19. Jahrhundert datieren.

Das Massengrab wurde im damals noch offenstehenden Stadtgraben, neben dem heutigen Klingentalgraben, angelegt. Der Stadtgraben wurde erst später beim Bau der Reithalle im Jahr 1820 aufgefüllt. In dem Massengrab dürften wahrscheinlich Opfer bestattet worden sein aus dem nahe gelegenen Lazarett, das in der Klingentalkirche eingerichtet worden war.

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Abb. 4: Im nördlichen Anbau der Kaserne kam bei archäologischen Ausgrabungen 2019 ein Massengrab zum Vorschein; die 27 Skelette wurden dokumentiert und ausgegraben.

Damals bis heute: Ursachen und Behandlung werden erforscht

Eine weitere Fleckfieber-Epidemie mit etwa zweieinhalb Millionen Todesopfern ereignete sich zwischen 1918 und 1922 in Russland als Folge von Krieg und Bürgerkrieg. Damals wurde auch erstmals erkannt, dass Läusebisse die Erkrankung verursachen. Läuse, Milben, Zecken und Flöhe sind Überträger der sogenannten Rickettsien-Bakterien, die Fleckfieber auslösen; Typhus dagegen, der zu ähnlichen Symptomen führt und oft verwechselt wird, wird von Salmonellen verursacht.

Besonders während des Ersten und Zweiten Weltkriegs wurde zu Fleckfieber-Impfstoffen geforscht. Grausamerweise wurden auch Menschenversuche mit Häftlingen verschiedener Konzentrationslager durchgeführt, wobei diese als Wirte für infizierte Läuse dienten. Dabei starben mehrere hundert Menschen. Unbehandelt führt Fleckfieber in etwa 40 Prozent der Fälle zum Tod. Einen Impfstoff gibt es nicht. Doch durch eine frühzeitige Gabe von Antibiotika ist die Krankheit heute gut heilbar.

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Abb. 5: Bei den Skeletten, die 2019 ausgegraben wurden, fand sich dieser Kreuzanhänger, der Ende 18./19. Jahrhundert datiert.

Quellen

Archäologische Bodenforschung des Kantons Basel-Stadt: Jahresbericht 1976, Fundbericht, Kohlenstrasse 84. Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 77, 1977, S. 227-228.

Burckhardt-Werthemann, D. (1925) Häuser und Gestalten aus Basels Vergangenheit. Basel, bes. S. 31.

Helmig, G., Meyer u. L. & Stegmüller, Chr. (2010) Archäologische Befunde im Umkreis von St. Theodor. In: Hotz, G., Greyerz, K. v., & Burkart, L. Theo Der Pfeifenraucher. Naturhistorisches Museum Basel, S. 28-36.

Lutz, M. (1816) Die Festung Hüningen von ihrer Anlage bis zu ihrer Schleifung. Nebst dem Tagebuch der Belagerungsoperationen auf dem den eidgenössischen Truppen übergebenen rechten Rheinufer. Basel, Plan der Belagerung von Hüningen im Jahr 1815.

Massengrab aus der Zeit der Napoleonischen Kriege. Medienmitteilung Archäologische Bodenforschung/Präsidialdepartement 05.09.2019.

Meier, E. A. (1970) Aus dem alten Basel. Ein Bildband mit Geschichten aus der Anekdotensammlung von Johann Jakob Uebelin (1793-1873). Basel, bes. S. 56.

Schreiber, W. u. Matthys, F. K. (1986) Infectio. Ansteckende Krankheiten in der Geschichte der Medizin. Basel, bes. S. 143-152 (Fleckfieber).

Teuteberg, R. (19882) Basler Geschichte. Basel, bes. S. 282-283.

Wikipedia: Fleckfieber.

Abb. 1: Marsch der alliierten Truppen über die Basler Rheinbrücke am 21. Dezember 1813. Zeitgenössischer Holzschnitt (aus Teuteberg 19882, S. 282).

Abb. 2: "Das schreckliche ‘Nervenfieber", Basel 1814, Tuschzeichnung vermutlich von Jeremias Burckhardt (Original zuletzt in Privatbesitz Dr. K. Vöchting, vgl. Meier 1970, S. 245 Bildnachweis).

Abb. 3: Lage der archäologisch erfassten Notfriedhöfe mit Bezug zur Epidemie von 1814. Fundstellen: Kohlenstrasse 84 (1976/8), Unterer Rheinweg 28 (Kaserne) (2018/19) (Kartengrundlage nach Lutz 1816 mit Ergänzungen: S. Hüglin/N. Spichtig).

Abb. 4: Massengrab mit 27 Skeletten, Archäologische Bodenforschung Basel-Stadt (Foto: Samuel Thiessen).

Abb. 5: Kreuzanhänger, Ende 18./19. Jahrhundert, Archäologische Bodenforschung Basel-Stadt (Foto: Philippe Saurbeck).

Autoren

Sophie Hüglin ist Archäologin und Mitglied der Konzeptgruppe von Band 1 und 2 der neuen Basler Stadtgeschichte. Sie verfasst auch archäologische Beiträge für spätere Epochen. Sie war von 2002 bis 2014 Mitarbeitende der Archäologischen Bodenforschung Basel-Stadt und hat zahlreiche Grabungen geleitet. Sie arbeitet an verschiedenen Forschungs- und Publikationsprojekten in Europa und Indien. Sie engagiert sich ehrenamtlich als Vizepräsidentin der European Association of Archaeologists.

 

Norbert Spichtig ist Archäologe und Mitautor von Band 1 der neuen Basler Stadtgeschichte. Er hat seit 1990 für die Archäologische Bodenforschung Basel-Stadt zahlreiche Ausgrabungen v. a. in der späteisenzeitlichen Fundstelle Basel-Gasfabrik ausgeführt. Zusätzlich ist er an verschiedenen Auswertungsprojekten beteiligt. Seit 2001 ist er stellvertretender Kantonsarchäologe und leitet seit 2019 die Abteilung Fundbearbeitung.