Basel zur Zeit der Münsterweihe 1019: Rätsel Nr. 2

War Heinrich II. bei der Münsterweihe wirklich dabei?

Text: Nicolas Fink

War Kaiser Heinrich II. wirklich in Basel? Die einzige Quelle, welche die Anwesenheit des Kaisers bei der Basler Münsterweihe 1019 belegen könnte, galt stets als unsicherer Nachweis. Eine Neulektüre der vom Domkaplan Niklaus Gerung genannt Blauenstein verfassten Bischofschronik fördert spannende Erkenntnisse zutage.

Blauensteins Bischofschronik

Am 11. Oktober 1019 weihte Bischof Adalbero II. im Beisein von Kaiser Heinrich II. das Basler Münster. Wichtigste Quelle für dieses Ereignis ist die sogenannte Cronica episcoporum Basiliensium – die Basler Bischofschronik – aus dem Jahr 1475. Verfasst hat diese Domkaplan Niklaus Gerung genannt Blauenstein.

Die Chronik beinhaltet eine Weihnotiz des Basler Münsters; mit grosser Wahrscheinlichkeit eine authentische Abschrift der Originalvorlage, die um 1019 verfasst und verloren gegangen ist.

Eine Weihnotiz verzeichnet eine Altar- bzw. Kirchenweihe. Dabei nennt sie die Heiligen, in deren Namen der Altar geweiht wird und deren Reliquien dem Altar beigegeben werden.

Echt oder nicht?

Für die Echtheit der Weihnotiz sprechen insbesondere die namentliche Erwähnung der sechs weihenden Bischöfe, die ausführliche Liste der Reliquien und die genauen Datumsangaben. Doch zweifellos enthält die Notiz auch spätere Zusätze. So werden etwa Heinrich II. und seine Gemahlin Kunigunde in Blauensteins Chronik als Heilige bezeichnet. Tatsächlich erfolgte die Heiligsprechung Heinrichs im Jahr 1147 und jene von Kunigunde im Jahr 1200, was nicht so recht mit dem Jahr 1019 zusammenpassen will.

Über die Echtheit wurde entsprechend gestritten; nicht zuletzt aus lokalpatriotischen Gründen. Denn Blauensteins Chronik erwähnt gleich mehrmals, dass der Kaiser der Münsterweihe persönlich beigewohnt haben soll. In der Chronik ist zu lesen: ipso Imperatore astante (im Beisein des Kaisers) – und genau das Verb astare (anwesend sein/dabeistehen/helfen) hielt die Forschung auf Trab. Es ist Teil einer sogenannten Ablativus-absolutus-Konstruktion. Mit dieser lässt sich einem lateinischen Satz eine zusätzliche Information hinzufügen, ohne dass ein enger grammatischer Bezug zum rahmenden Satz bestehen müsste; im Deutschen ähnlich einem Einschub, den man zwischen Gedankenstriche setzt.

Solche Einschübe eignen sich gut, um einen Text mit Informationen zu ergänzen, die dort vorher nicht gestanden haben. Entsprechend wurde angezweifelt, ob jenes ipso Imperatore astante bereits im Original der Weihnotiz vermerkt war.

Bischofschronik
Notiz zur Basler Münsterweihe 1019 in Blauensteins Bischofschronik (© Universitätsbibliothek Basel / e-codices).

Das verflixte Verb "astare"

Um dieser Kritik nachzugehen, lohnt es sich, das Verb astare näher zu untersuchen. Denn umso besser sich dieses Wort in den Gesamtkontext eingliedern lässt, desto wahrscheinlicher wird, dass astare nicht einfach nur dasteht, um Heinrichs Anwesenheit zu markieren, und dem Text somit mit ziemlicher Sicherheit nachträglich angedichtet worden ist. Vielmehr verweist es dann auf eine Funktion Heinrichs im Ritus der Weihe und wurde aus gutem Grund niedergeschrieben.

Die Forschung hat dazu zwei Thesen vorgebracht: Gemäss einer älteren These ist mit dem Verb astare gemeint, dass Heinrich in die Weihe eingebunden war und ihm eine aktive Rolle zukam. In einer jüngeren These verweist astare auf die sogenannte admonitio oder Ermahnung des weihenden Bischof Adalbero an den Kaiser. Dabei käme Heinrich eine passive Rolle zu: dabeizustehen und sich an seine Pflichten gegenüber dieser Kirche gemahnen zu lassen.

Aber sehen wir uns die Stelle bei Blauenstein einmal genauer an.

… und ab in den Text

Quo tempore, anno videlicet domini 1019 5. idus octobris indictione 2, ecclesia Basiliensis, per prescriptum sanctum Heinricum restaurata et preciosis reliquiis et ornamentis dotata, per dictum Adelberum episcopum est dedicata, ipso imperatore astante, anno regni sui 18., imperii vero 6., in honore sancte resurrectionis Jhesu Christi […], ipsi episcopo et imperatori astantibus, et conbenedicentibus reverendis patribus et dominis Popone archiepiscopo Treverensi, Wernario episcopo Argentinensi, Ruodardo Constanciensi episcopo, Hugone Genovensi, Hugone Lausanensi, Erico episcopo atque imperialis capelle custode. Zitiert gemäss Bernoulli, Leipzig 1915, S. 113. In Abgleich mit Blauensteins Autograph lese ich allerdings vero statt "verro" (Zeile 4) und imperatori statt "imperatore" (Zeile 5).

Übersetzt: Zu jener Zeit, nämlich im Jahre des Herrn 1019, an den fünften Iden des Oktobers [11. Oktober] während der zweiten Indiktion, wurde die Basler Kirche durch den vorher beschriebenen heiligen Heinrich (baulich) wiederhergestellt und mit wertvollen Reliquien und Kostbarkeiten beschenkt und vom genannten Bischof Adalbero geweiht, [und dies] im Beisein des Kaisers selbst, im 18. Jahr seines Königtums, im 6. aber seines Kaisertums, zu Ehren der heiligen Wiederauferstehung Jesu Christi […]. Dem Bischof und dem Kaiser assistieren unter Mitsegenssprüchen die verehrenswerten Väter und Herren Popo, der Trierer Erzbischof, Werner, der Strassburger Bischof, Ruodard, der Konstanzer Bischof, Hugo, der Genfer, Hugo, der Lausanner, und Erico, Bischof und Vorsteher der kaiserlichen Kapelle.

Der Satz ist recht übersichtlich aufgebaut: Unter Voranstellung des Datums (wann?) wird die ecclesia Basiliensis bzw. das Basler Münster (wer?) durch Heinrich baulich wiederhergestellt (restaurata), mit wertvollen Reliquien und nicht weniger kostbarem Ornat beschenkt (dotata) und endlich durch den Bischof Adalbero geweiht (dedicata est). Diesem letzten Teil des ecclesia Basiliensis […] dedicata est – also der Weihe – sind die erste Ablativkonstruktion "im Beisein des Kaisers" (ipso Imperatore astante) und die zweite Ablativkonstruktion ipsi episcopo et imperatori astantibus et combenedicentibus reverendis patris et dominis mit anschliessender Nennung der sechs mitsegnenden Bischöfe angehängt.

Der Gebrauch von "astare"

Nimmt man diese Abfolge ernst, wird astare, wenn auch grammatisch losgelöst, nahe an den Akt der Weihe (dedicata est) gerückt, der unter Ausschluss oder mit Abstand zum einfachen Volk und den niedrigeren Klerikern erfolgte. Das Verb zeigt demnach nicht einfach nur die Anwesenheit der Grossen und Wichtigen an, sondern auch, wem die besondere Ehre zukam, während der Weihe am Altar bzw. dem Allerheiligsten stehen zu dürfen.

Ein Blick in verbindliche Texte zum liturgischen Ablauf in der Kirche des 10. Jahrhunderts bestätigt diesen Gebrauch von astare, der eine physische Nähe zum Altar bedeuten kann. Es ist daher auszuschliessen, dass astare hier die admonitio – die Ermahnung – durch den weihenden Bischof meint, gerade weil die admonitio nicht mehr mit dem Akt der Weihe selbst verbunden ist, sondern offenbar an diesen anschliesst.

Eine weitere Wendung, die Heinrichs Rolle im Ritus der Weihe interessant macht, gibt der zweite Gebrauch von astare in dieser Zeit. Hier gilt es anzumerken, dass Imperatori nach strengem klassischen Latein im Dativ Singular steht (im Gegensatz zum ablativischen Ipso Imperatore astante). Das Gleiche gilt für Ipsi in Ipsi Episcopo. Dazu kommt, dass Heinrich in dieser Satzfolge bereits als astans beschrieben wird (ipso Imperatore astante). Es kann hier also nicht erneut ein blosses Dabeistehen gemeint sein, wenn es um Heinrich und den Bischof geht. Das würde eine unnötige Doppelung implizieren.

Im Mittellateinischen Wörterbuch bis zum ausgehenden 13. Jahrhundert finden sich Belege für astare mit ergänzendem Dativ denn auch im Bedeutungsbereich "helfen / assistieren / dienen", nicht aber im Sinne von "dabeistehen". Demnach dürften hier ausschliesslich die sechs Bischöfe mit astantibus gemeint sein, die dem weihenden Bischof Adalbero und dem Kaiser bei den Segenssprüchen (combenedicentibus) beistehen. Dass aber nicht nur Adalbero, sondern auch Heinrich Hilfe durch die Bischöfe erlangt, würde die These unterstreichen, dass Heinrich eng in den Weiheritus integriert war.

Es fragt sich freilich, in welcher Funktion genau. Eher auszuschliessen ist die Rolle als Geschenkgeber. Sie wird gesondert von der Weihe vermerkt, und scheint nicht direkt mit ihr verbunden zu sein. Damit haben wir ein Rätsel gelöst, um uns gleich das nächste einzuhandeln: Wie sah Heinrichs aktive Rolle im Ritus genau aus? Dieses Rätsel bleibt vorerst ungelöst.

Heinrich war hier

Wie die Abschrift der Weihnotiz bei Blauenstein zeigt, bedeutet das Verb astare eben nicht nur ein blosses Dabeisein, sondern auch das Helfen bei der Weihehandlung selbst, die Nähe zum Altar und die Zugehörigkeit zur Crème de la Crème der damaligen Zeit. Der sprachliche Befund verweist also auf Handlungen und Umstände, die für die Zeit Heinrichs wahrscheinlich sind. Unsere Ablativkonstruktion lässt sich somit als integraler beziehungsweise fester Bestandteil der Notiz betrachten.

Der Verdacht, die Anwesenheit von Heinrich sei der Weihnotiz bloss in fälschender Manier beigefügt, indem man das Verb astare in den Text montiert hat, lässt sich also entkräften. Heinrich, das dürfen wir so bestimmt sagen, war bei der Münsterweihe 1019 dabei.

Quellen

Benz, Karl Josef: Untersuchungen zur politischen Bedeutung der Kirchweihe unter Teilnahme der deutschen Herrscher im hohen Mittelalter. Ein Beitrag zum Studium des Verhältnisses zwischen weltlicher Macht und kirchlicher Wirklichkeit unter Otto III. und Heinrich II. (Regensburger Historische Forschungen, 4), Kallmünz 1975.

Gerung gen. Blauenstein, Nicolaus: Chronik der Basler Bischöfe (238-1475), in: Basler Chroniken, Bd. 7, bearb. v. August Bernoulli, Leipzig 1915, S. 93-159.

Lohse, Tillmann: Welche Rolle spielte Heinrich II. bei der Basler Münsterweihe im Jahr 1019?, in: Fehlmann, Marc et. al. (Hgg.): Gold und Ruhm. Kunst und Macht unter Kaiser Heinrich II, München 2019, S. 224-227.

Mittellateinisches Wörterbuch bis zum ausgehenden 13. Jahrhundert, Bd. I: A-B, redigiert von Otto Prinz unter Mitarbeit von Johannes Schneider, München 1967.

Popp, Christian: Die Quedlinburger Kirchweihe im Jahre 1021. Neue Überlegungen zum altbekannten Weihebericht in den Annales Quedlinburgenses, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 72, 2016, S. 469-500.

Vogel, Cyrille; Elze, Reinhard (Hg.): Le pontifical Romano-Germanique du dixième siècle, Bd. 1: Le texte (Studi e testi 226), Città del Vaticano 1963.

Basel, Universitätsbibliothek, D IV 10, f. 2v – Sammelhandschrift (Chronikalia) (https://www.e-codices.ch/de/list/one/ubb/D-IV-0010).

Autor

Nicolas Fink studiert Geschichte und Germanistik in Basel. Besondere Interessenfelder sind die Rhetorik, verschiedenste Antikenrezeptionen und der höfische Roman. Dem früh- und hochmittelalterlichen Basel gilt wegen der glücklichen Abgeschiedenheit dieses Ortes eine besondere Vorliebe.

Basel zur Zeit der Münsterweihe 1019

Galluspforte Basler Münster
Basler Münster, Galluspforte (© Alamy Stock Foto)

Dieser Beitrag entstand am Departement Geschichte der Universität Basel im Rahmen des Forschungsseminars "Die drei ??? und die Basler Münsterweihe 1019". Die Lehrveranstaltung von Prof. Dr. Jan Rüdiger fand im Jubiläumsjahr "1000 Jahre Basler Münster" statt. Die Student*innen spürten dabei einigen Rätseln rund um die Basler Münsterweihe nach. Denn mehr an diesem "Ereignis" ist geheimnisvoll, unklar, womöglich unklärbar, als es den Anschein hat.

Fünf Student*innen packten die Gelegenheit beim Schopf und verfassten zu ihren Forschungsarbeiten einen Blog-Beitrag für Stadt.Geschichte.Basel. Die fünf Beiträge bzw. "Rätsel Nr. 1-5" erscheinen ab dem 7. Oktober 2020 im Zweiwochen-Rhythmus in der Reihe "Basel zur Zeit der Münsterweihe 1019".