… ZUERST DIE FISCHE … Momentaufnahmen einer Kunstaktion nach der Chemiekatastrophe in Schweizerhalle

Text: Maurice Bonvin

Am 1. November 1986 – 185 Tage nach Tschernobyl – gingen auf dem Schweizerhalle-Areal der Sandoz rund 1'350 Tonnen hochgiftiger Chemikalien in Flammen auf. Eine Woche später überklebten Kunstschaffende und Kunststudierende zahllose Werbeflächen im Stadtraum mit selbst gestalteten Postern, Collagen und Gedichten. Die Plakataktion zeigt Bilder der Angst und der Sorge: Eine Anklage gegen die Basler Chemieindustrie und die Basler Behörden. Entsprechend rasch waren die Bilder wieder aus dem Stadtraum verschwunden; Fotografien der Aktion wurden zu Raritäten.

"sofort alle Fenster und Türen schliessen"

Am 1. November 1986 entfachte um Mitternacht im Industriegebiet in Schweizerhalle (BL) ein Grossbrand. 60 Meter hohe Flammen und dicke Rauchwolken waren kilometerweit am Basler Nachthimmel zu sehen.
Betroffen war eine Lagerhalle mit rund 1'350 Tonnen hochgefährlicher Chemikalien.

Das Ausmass der Emissionen liess sich in den frühen Morgenstunden nicht abschätzen; die Basler Behörden verhängten eine mehrstündige Ausgangssperre. Für viele Anwohner*innen in der Region, die durch einen beissenden Gestank aus dem Schlaf gerissen wurden, war das bange Warten auf eine Entwarnung am Radio ein einschneidendes Erlebnis.

Aufräumarbeiten
Abb. 1: Aufräumarbeiten in Schweizerhalle nach dem Brand, November 1986 (Wikimedia Commons).

"SANDOZ lädt ein. Fischessen für Alle"

In den nachfolgenden Tagen gelangten mehr und mehr Informationen über die Gefährdungslage der Anwohner*inner und das Ausmass der Schäden am Ökosystem des Rheins an die Öffentlichkeit und sorgten international für Schlagzeilen. In Basel kam eine bunt durchmischte Bürgerbewegung zusammen, die ihren Unmut über die Uneinsichtigkeit der Entscheidungsträger mit aufsehenerregenden Kundgebungen durch die Innenstadt freien Lauf liess. In der Nacht auf den 8. November wurden bei einer koordinierten Kunstaktion im Stadtbild besonders sichtbare Werbeflächen mit Plakaten überklebt.

Initiiert wurde die Aktion von Student*innen der Allgemeinen Gewerbeschule, die die Basler Kunstszene dazu aufgerufen hatten, die Proteste in den Strassen künstlerisch zu untermalen. Die Plakate waren der Auftakt zur grössten Kundgebung mit über zehntausend Teilnehmer*innen, die unter dem Motto "Fische sind wehrlos – wir nicht!" auf dem Markplatz abgehalten wurde.

Abb. 2-6: In der Nacht auf den 8. November überklebten Basler Kunstschaffende zahllose Werbeflächen mit selbst gestalteten Plakaten. Im "1. November-Büchlein" sind 96 Werke dokumentiert.

Abb. 2-6: In der Nacht auf den 8. November überklebten Basler Kunstschaffende zahllose Werbeflächen mit selbst gestalteten Plakaten. Im "1. November-Büchlein" sind 96 Werke dokumentiert.

Abb. 2-6: In der Nacht auf den 8. November überklebten Basler Kunstschaffende zahllose Werbeflächen mit selbst gestalteten Plakaten. Im "1. November-Büchlein" sind 96 Werke dokumentiert.

Abb. 2-6: In der Nacht auf den 8. November überklebten Basler Kunstschaffende zahllose Werbeflächen mit selbst gestalteten Plakaten. Im "1. November-Büchlein" sind 96 Werke dokumentiert.

Abb. 2-6: In der Nacht auf den 8. November überklebten Basler Kunstschaffende zahllose Werbeflächen mit selbst gestalteten Plakaten. Im "1. November-Büchlein" sind 96 Werke dokumentiert.

"Z’Basel isch Herbschtmäss"

Die Basler Chemieindustrie galt in der Region als unentbehrlicher Garant für Wohlstand und Arbeitsplätze. In der Bevölkerung und in der Politik glaubte man, dass sogenannte "Risikoanlagen" ausreichend gesichert seien. Das Vertrauen in die Eigenverantwortlichkeit der "Chemische" wurde am 1. November 1986 schwer erschüttert.

Die Chemieindustrie wurde in der öffentlichen Wahrnehmung über Nacht vom Wohlstandfaktor zum Risikofaktor: Sandoz hatte auf dem Schweizerhalle-Areal über Jahre direkt am Rhein gefährliche Chemikalien ohne Auffangbecken gelagert. Durch den Grossbrand gelangten 30 Tonnen Pflanzenschutzmittel und roter Farbstoff in den Rhein, die das Wasser besorgniserregend verfärbten. Wochenlang waren in den Medien furchteinflössende Bilder von toten Fischen und ausgebrannten Lagerhallen mit ausgelaufenen Fässern zu sehen. Das schadstoffbelastete Löschwasser versickerte im Boden und verschmutzte das Grundwasser; das betroffene Gebiet musste aufwändig saniert werden.

Abb. 7-42: Die Kunstaktion wurde fast unmittelbar aus dem Stadtbild entfernt; private Aufnahmen wie die 35 Diapositive von Jürg Stöcklin wurden zur Rarität.

Abb. 7-42: Die Kunstaktion wurde fast unmittelbar aus dem Stadtbild entfernt; private Aufnahmen wie die 35 Diapositive von Jürg Stöcklin wurden zur Rarität.

Abb. 7-42: Die Kunstaktion wurde fast unmittelbar aus dem Stadtbild entfernt; private Aufnahmen wie die 35 Diapositive von Jürg Stöcklin wurden zur Rarität.

Abb. 7-42: Die Kunstaktion wurde fast unmittelbar aus dem Stadtbild entfernt; private Aufnahmen wie die 35 Diapositive von Jürg Stöcklin wurden zur Rarität.

Abb. 7-42: Die Kunstaktion wurde fast unmittelbar aus dem Stadtbild entfernt; private Aufnahmen wie die 35 Diapositive von Jürg Stöcklin wurden zur Rarität.

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Abb. 7-42: Die Kunstaktion wurde fast unmittelbar aus dem Stadtbild entfernt; private Aufnahmen wie die 35 Diapositive von Jürg Stöcklin wurden zur Rarität.

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Abb. 7-42: Die Kunstaktion wurde fast unmittelbar aus dem Stadtbild entfernt; private Aufnahmen wie die 35 Diapositive von Jürg Stöcklin wurden zur Rarität.

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Abb. 7-42: Die Kunstaktion wurde fast unmittelbar aus dem Stadtbild entfernt; private Aufnahmen wie die 35 Diapositive von Jürg Stöcklin wurden zur Rarität.

Abb. 7-42: Die Kunstaktion wurde fast unmittelbar aus dem Stadtbild entfernt; private Aufnahmen wie die 35 Diapositive von Jürg Stöcklin wurden zur Rarität.

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Abb. 7-42: Die Kunstaktion wurde fast unmittelbar aus dem Stadtbild entfernt; private Aufnahmen wie die 35 Diapositive von Jürg Stöcklin wurden zur Rarität.

Abb. 7-42: Die Kunstaktion wurde fast unmittelbar aus dem Stadtbild entfernt; private Aufnahmen wie die 35 Diapositive von Jürg Stöcklin wurden zur Rarität.

Abb. 7-42: Die Kunstaktion wurde fast unmittelbar aus dem Stadtbild entfernt; private Aufnahmen wie die 35 Diapositive von Jürg Stöcklin wurden zur Rarität.

Abb. 7-42: Die Kunstaktion wurde fast unmittelbar aus dem Stadtbild entfernt; private Aufnahmen wie die 35 Diapositive von Jürg Stöcklin wurden zur Rarität.

Abb. 7-42: Die Kunstaktion wurde fast unmittelbar aus dem Stadtbild entfernt; private Aufnahmen wie die 35 Diapositive von Jürg Stöcklin wurden zur Rarität.

Abb. 7-42: Die Kunstaktion wurde fast unmittelbar aus dem Stadtbild entfernt; private Aufnahmen wie die 35 Diapositive von Jürg Stöcklin wurden zur Rarität.

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Abb. 7-42: Die Kunstaktion wurde fast unmittelbar aus dem Stadtbild entfernt; private Aufnahmen wie die 35 Diapositive von Jürg Stöcklin wurden zur Rarität.

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Abb. 7-42: Die Kunstaktion wurde fast unmittelbar aus dem Stadtbild entfernt; private Aufnahmen wie die 35 Diapositive von Jürg Stöcklin wurden zur Rarität.

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Abb. 7-42: Die Kunstaktion wurde fast unmittelbar aus dem Stadtbild entfernt; private Aufnahmen wie die 35 Diapositive von Jürg Stöcklin wurden zur Rarität.

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Abb. 7-42: Die Kunstaktion wurde fast unmittelbar aus dem Stadtbild entfernt; private Aufnahmen wie die 35 Diapositive von Jürg Stöcklin wurden zur Rarität.

Ein Grossteil der Bevölkerung begegnete den Erklärungen der Sandoz-Verantwortlichen und der Basler Regierung mit grossem Misstrauen. Der Vorschlag des Baselbieter Regierungspräsidenten Werner Spitteler, Gasmasken an alle Anwohner*innen zu verteilen, löste im Tschernobyljahr 1986 eine Welle der Empörung aus. Der Vorschlag wurde als unzumutbare Massnahme gesehen, die von den Menschen verlange, sich mit dem Risiko weiterer Chemieunfälle abzufinden. Gleichzeitig wurde – zum weitgehenden Unverständnis der Bevölkerung – die Basler Herbstmesse nicht abgesagt, weil die Behörden die Öffentlichkeit nicht weiter verunsichern wollten.

Die Brandkatastrophe von Schweizerhalle zog in der Basler Bevölkerung weite Kreise. Umweltverbände und Bürgerinitiativen forderten nach diesen Ereignissen, dass Chemieunternehmen beim Thema Sicherheit und Umweltschutz konsequent zur Verantwortung gezogen werden.

Fotografische Raritäten

Wie viele Plakate die Basler Kunstszene für ihre Aktion gestaltet hat, ist unbekannt; laut Augenzeugen sollen es Hunderte gewesen sein. Sie wurden bereits am nächsten Tag von einer Plakatfirma entfernt und gelangten erst mit dem anonym herausgegebenen "1. November-Büchlein" wieder an die Öffentlichkeit. Im kleinen, schmalen Band sind 96 Plakate fotografisch festgehalten.

Das Büchlein wurde am 14. Oktober 1987, rund ein Jahr nach der Chemiekatastrophe, als Erinnerung – und Mahnung – in der Stadt verteilt. Heute ist es ein gesuchtes Kunst- und Erinnerungsstück. Weitere Bilder finden sich in privaten Sammlungen wie jener von Jürg Stöcklin, der am 8. November mit seiner Kamera losgezogen ist und die Aktion in 35 Momentaufnahmen festgehalten hat.

Abb. 43: Titelblatt des "1. November-Büchlein".

Quellen

Bachmann, Guido et al. (Hg.): Das Ereignis. Chemiekatastrophe am Rhein. Basel 1986.

Hofmann, Matthias: Lernen aus Katastrophen. Nach den Unfällen von Harrisburg, Seveso und Sandoz. Berlin 2008.

Abb. 1: Wikimedia Commons, zur Verfügung gestellt von ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Comet Photo AG (Zürich) / Com_LC0624-002-002 / CC BY-SA 4.0.

Abb. 2-6: 1. November-Büchlein [Anonym], 1987.

Abb. 7-41: Privatarchiv Jürg Stöcklin, Basel 1986.

Abb. 42: 1. November-Büchlein [Anonym], 1987.

Autor

Maurice Bonvin, Text: ist Mitarbeiter der Abteilung Bildung & Vermittlung am Historischen Museum Basel. Zurzeit studiert er an der Universität Basel den Masterstudiengang Europäische Geschichte in globaler Perspektive.

 

Jürg Stöcklin, Abbildungen: «So etwas wie Schweizerhalle darf nie wieder passieren und nicht vergessen gehen». Mit diesem Credo machte sich Jürg Stöcklin am 8. November 1986 auf und hielt mit seiner Kamera 35 Plakatwände fest. So verblieb ein Teil der Kunstaktion, die fast unmittelbar wieder aus dem Stadtbild verschwand, in einer kleinen Sammlung an Diapositiven; eine fotografische Rarität, die Jürg Stöcklin dem Projekt Stadt.Geschichte.Basel für diesen Beitrag zur Verfügung stellte. 1987 war Jürg Stöcklin an der Verteilaktion des «1. November-Büchleins» beteiligt. Er schätzt die Stückzahl auf etwa 1’000-5'000 Exemplare. Die gesellschaftspolitische Verantwortung von Staat und Konzernen und eines jeden Einzelnen für eine intakte Natur und Umwelt ist prägend für das berufliche und politische Engagement von Jürg Stöcklin. Als Professor für Botanik lehrte er bis zu seiner Emeritierung am Botanischen Institut der Universität Basel. Er ist Gründungsmitglied der GRÜNEN Basel-Stadt und vertrat die Anliegen der Partei über viele Jahre im Grossen Rat des Kantons Basel-Stadt und in der Bürgergemeinde der Stadt Basel.