Grenzen der Humanität: NS-Opfer aus Basel

Text: Sophie Küsterling

Mit dem Eingeständnis, dass es Schweizer NS-Opfer oder solche mit einem starken Bezug zur Schweiz gibt, stellt sich die Frage nach der Erinnerung an die Betroffenen. In Basel erinnern seit vergangenem November vier Stolpersteine und eine Stolperschwelle an solche Schicksale. Sie erzählen Geschichten von Rück- und Ausweisungen nach Nazi-Deutschland oder unterlassener Hilfeleistung seitens der Behörden.

Bereits nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 regelte die Schweiz die Einreise von «Israeliten». Da sie jüdische Flüchtende nicht als politisch Verfolgte anerkannte, erhielten diese kein Asyl, sondern eine kantonale «Toleranzbewilligung», die auf drei bis sechs Monate festgesetzt war. Basel-Stadt betrieb oft eine weniger rigorose Flüchtlingspolitik als der Bund und stützte sich dabei auf den Standpunkt der Humanität. 

Doch auch diese Humanität hatte Grenzen. Menschen, denen die Flucht in die Stadt gelang, wurden aufgenommen. Jenen aber, die im Grenzgebiet aufgegriffen wurden, stand die Rückschaffung bevor. Nachdem die Novemberpogrome 1938 einen weiteren Flüchtlingsstrom auslösten, schritt der Kanton vermehrt zu Rückweisungen über. 

Eine solche geschah am 23. November 1938 an der Grenze Riehen-Stetten. Dreizehn Jüdinnen und Juden hatten den Grenzübertritt geschafft, wurden jedoch aufgegriffen. Ein Rapport des Basler Polizeikorps hält ihre Rückschaffung fest: «Einer der Juden weigerte sich, wieder über die Grenze zu gehen und musste getragen werden. Ein zweiter Jude flüchtete sich, wurde jedoch durch einen Schweizer Grenzwächter eingeholt und musste ebenfalls durch Tragen transportiert werden.» 

Der Schweizer Zoll hatte die Gestapo vorgängig über die Rückweisung der dreizehn jüdischen Flüchtenden, deren Namen nicht überliefert sind, informiert. Es ist zu vermuten, dass sie alle in Deutschland von der Gestapo verhaftet wurden und nicht mehr entkommen konnten.

 

Für die Geflüchteten mit einer Toleranzbewilligung mussten die jüdischen Hilfswerke die finanzielle Verantwortung übernehmen. Denn die «Tolerierten» unterlagen einem Arbeitsverbot. So auch der Wiener Armin Weiss, der 1938 nach dem «Anschluss» Österreichs nach Basel floh. Zunächst sah es so aus, als würde Armin Weiss die Shoah überleben. Doch im Dezember 1939 wurde er in Liestal von der Baselbieter Kantonspolizei beim Hausieren mit Bleistiften erwischt. Für die Basler Fremdenpolizei eine «grobe Verletzung des Asylrechts». 

Der Chef der Kantonalen Fremdenpolizei, Franz Merz, schrieb dem Vorsteher des Basler Polizeidepartements: «Unsere Soldaten […] stehen nicht an der Grenze, damit der Ausländer und Emigrant in ihrem Schutze tut was er will und dem Profit nachjagt. […] Es ist nötig, dass wieder einmal ein Exempel statuiert wird […]!» Am 12. Dezember 1939 wurde Armin Weiss vom Lohnhof an den Badischen Bahnhof gebracht. In der Arrestzelle versuchte er sich das Leben zu nehmen. Der herbeigerufene Grenzarzt leistete jedoch erste Hilfe. Und um 14.30 Uhr wurde Armin Weiss von einem Transporteur, so der Polizeirapport, nach Lörrach ausgewiesen. Er starb am 16. März 1940 im KZ Sachsenhausen.

Gaston Dreher

Auch in Basel geborene und hier wohnhafte ausländische Jüdinnen und Juden waren nicht sicher vor der Auslieferung, wie das Beispiel von Gaston Dreher zeigt. Dreher, der aus einer jüdischen Familie aus dem Elsass stammte, durchlebte eine schwierige Jugend. Psychische Probleme und Konflikte mit dem Gesetz ziehen sich durch seine Biografie. 1931 erhielt er eine Landesverweisung, gegen die er immer wieder verstiess. Als ihm im Herbst 1943 in Limoges die Deportation bevorstand, gelang ihm die Flucht in die Schweiz. In Basel angekommen, meldete er sich bei den Behörden. Diese gaben den Fall an die Eidgenössische Fremdenpolizei weiter. Diese wiederum beschloss, ihn wegen seines Verstosses gegen die Einreisesperre über die Grenze bei Genf auszuweisen. Gaston Dreher starb am 21. April 1944 in Auschwitz.

Abb. 2: Gaston Dreher
Abb. 2: Gaston Dreher

Anna Böhringer

Prekär war die Lage auch für Schweizerinnen, die aufgrund ihrer Heirat das Bürgerrecht verloren. Besonders Jüdinnen wurden durch die Heirat mit einem Ausländer zum Tode verurteilt. Ihnen wurde nicht nur der diplomatische Schutz versagt, sondern oft auch die rettende Wiedereinreise in die Schweiz. Doch auch Nicht-Jüdinnen konnte es treffen. So auch die Baslerin Anna Böhringer (geborene Bürgi). Durch die Heirat mit einem Deutschen verlor sie ihr Schweizer Bürgerrecht. Kurz vor Weihnachten 1920 wies die Schweiz sie und ihre Kinder wegen anonymer Denunziationen wegen ihres «unangepassten Lebenswandels» nach Deutschland aus.

In Lörrach geriet sie immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt, zudem wurde sie in der Schweiz wegen mehrmaligen Verweisungsbruchs bestraft. Eine Tochter bemühte sich wiederholt um die Aufhebung der Einreisesperre gegen ihre Mutter. Vergeblich. Das letzte Mal reiste Anna Böhringer im September 1939 nach Basel. Dort wurde sie festgenommen und erneut nach Lörrach ausgewiesen, wo sie verhaftet wurde. Im November 1939 kam sie ins KZ Ravensbrück. Sie starb am 20. Februar 1945 im «Jugendschutzlager» Uckermarck.

Abb. 3: Anna Böhringer
Abb. 3: Anna Böhringer

Quellen

Abb. 1 und 2 (Slider): Riehener Grenze zu Lörrach-Stetten. Dokumentationsstelle Gemeinde Riehen

Abb. 3: Schweizerisches Bundesarchiv, E4264#1985/196#704*, Dreher, Gaston Lazar, 07.07.1907, 1931 - 1943

Abb. 4: Anna Böhringer aus dem Familienarchiv

 

Ungedruckte Quellen:

Staatsarchiv Basel-Stadt, PD-REG 3a 30113, Dossier der Basler Fremdenpolizei zu Armin Weiss

Literatur: 

Schmidlin, Antonia; Wichers, Hermann. Versorgt, ausgewiesen, in den Tod geschickt. Das Leben des jüdischen Elsässers Gaston Dreher (1907-1944), Zürich 2022.

Seiler, Lukrezia; Wacker, Jean-Claude. «Fast täglich kamen Flüchtlinge» Riehen und Bettingen – zwei Grenzdörfer 1933 bis 1948, Basel 2013.

Spörri, Balz; Staubli, René; Tuchschmid, Benno. Die Schweizer KZ-Häftling. Vergessene Opfer des Dritten Reichs, Zürich 2019.

Wacker, Jean-Claude. Humaner als Bern! Schweizer und Basler Asylpraxis gegenüber den jüdischen Flüchtlingen von 1933 bis 1943 im Vergleich. Quellen und Forschungen zur Basler Geschichte, Bd. 14, Basel 1992.

Autorin

Sophie Küsterling promoviert an der Universität Luzern zur Ausweisung und Heimschaffung psychisch kranker Deutscher aus der Schweiz bis 1945und ist Forschungsassistentin an der FernUni Schweiz. Sie ist zudem Vorstandsmitglied des Vereins «Stolpersteine Schweiz».