Anna Maria Preiswerk-Iselin (1758-1840) und die weibliche Bildung in Basel um 1800

Text: Selina Bentsch

«Schwierig wird es wohl seyn zu bestimmen in wie fern Bildung für das weibliche geschlecht zuträglich sey! Noch weit schwieriger die Urtheile der Weld darüber nicht zu verletzen: den worüber wird so verschieden geurtheilt!» Das schrieb die Basler Bürgerin Anna Maria Preiswerk-Iselin (1758-1840) im Oktober 1815 in ihr Tagebuch. In den Fussstapfen ihres berühmten Vaters, Isaak Iselin (1728-1782), setzte sie sich für die Verbesserung der weiblichen Bildung ein. Ihr Altersprojekt einer Mädchenschule war zum Scheitern verurteilt, ist aber exemplarisch für die Diskrepanz zwischen dem Ideal der eigenständigen, gebildeten Frau der Aufklärung und der erlebten und gelebten Realität um 1800.

Der Basler Daig und die weibliche Bildung

Obwohl bereits 1460 in Basel die erste Universität der Schweiz gegründet wurde, blieb Frauen der Zugang über 400 Jahre lang, bis in das Jahr 1890, verwehrt. Die Schweiz gilt dennoch als eine der europäischen Vorreiternationen des Frauenstudiums. So konnten sich in Zürich bereits 1840 erste Studentinnen an der hiesigen Universität einschreiben. In anderen europäischen Ländern war dies zumeist erst Anfang des 20. Jahrhunderts möglich.

Die Mädchen- und Frauenbildung in Basel und der Schweiz um 1800 ist eine Geschichte der nicht-institutionalisierten Bildung. Der häuslichen Erziehung und Ausbildung der Töchter wurde grosse Bedeutung zugemessen – das galt zumindest für die höheren Stände. Immerhin sollten sie gute Mütter und Partnerinnen ihrer Ehemänner werden.

Bereits in den Jahren 1723 und 1746 veröffentlichte der Zürcher Philologe Johann Jakob Bodmer (1698-1783) zwei ausführliche Schriften mit Lektürehinweisen für sogenannte Frauenzimmerbibliotheken. Damit sollte dem weiblichen Geschlecht die Möglichkeit gegeben werden, sich eigenständig zu bilden und Wissen anzueignen. Angesprochen waren hierbei ausschliesslich die wohlhabenderen Bürgerinnen. Weniger finanzkräftige Schichten konnten sich die Anschaffung einer solchen Bibliothek kaum leisten. Zugang zu Bildung war somit nicht nur ein geschlechtsspezifisches, sondern auch ein standesspezifisches Problem.

Isaak Iselin
Abb. 1: Portrait von Isaak Iselin auf einer Elfenbeindose, die seiner Tochter Anna Maria gehörte. Basel 1797, gemalt von Marquard Fidel Domenikus Wocher (ⓒHistorisches Museum Basel).

Isaak Iselin (1728-1782) setzte sich zeitlebens für die Mädchenbildung ein und unterrichtete sechs seiner sieben Töchter zu Hause, während deren Brüder öffentliche Schulen besuchten. Die Mädchen lernten so beispielsweise Französisch, die Bildungssprache ihrer Zeit. Das Latein hingegen blieb den Männern vorbehalten. Die 1781 von Peter Ochs (1752-1821) ins Leben gerufene und von Isaak Iselin stark beförderte Basler Töchterschule scheiterte am Widerstand der Stadtbasler Oberschicht – des mächtigen «Daig». Iselin zielte dabei im Übrigen nicht darauf ab, den Mädchen mittels Bildung eine Selbstständigkeit in Form eines Berufes zu ermöglichen. Ganz im Sinne der Zeit wollte er sie vielmehr zu besseren Ehefrauen und Müttern erziehen.

Die Basler Töchterschule

Eine 1813 von der Gesellschaft des Guten und Gemeinnützigen (GGG) gegründete Töchterschule, in der Mädchen des Mittelstandes unterrichtet wurden, hatte hingegen Bestand.

Töchterschule
Abb. 2: Ansicht des Barfüsserplatzes gegen Süden. Links im Bild die Töchterschule. Basel 1820 (ⓒHistorisches Museum Basel).

Das Schulgeld schlug zunächst mit 40 bis 52 Batzen und ab 1815 dann mit 5 alten Schweizerfranken zu Buche (wobei 10 Batzen einem alten Schweizerfranken entsprachen). Die Töchterschule war damit um einiges kostspieliger als die Schulen für Jungen. Bei der Eröffnung besuchten 35 Mädchen die Schule, 1815 waren es schon 52 bis 66 jeden Monat, Tendenz steigend. Unterrichtet wurden sie von männlichem und weiblichem Lehrpersonal, wobei die Lehrerinnen signifikant weniger verdienten als ihre männlichen Kollegen. Auch die Aufgabenbereiche waren zwischen den Geschlechtern klar verteilt: So unterrichteten die Lehrerinnen hauptsächlich «weibliche» Fächer wie Handarbeit. Als Rektor kam nur ein Mann in gesetztem Alter in Frage, der zudem einen tadellosen Leumund sowie Kenntnisse der deutschen und französischen Sprache haben musste.

Um die Eltern vom hiesigen Institut zu überzeugen, die ihre Kinder sonst wohl in die französischsprachige Schweiz beordert hätten, zum sogenannten «Welschlandjahr», wurden diverse Vorzüge betont. So zum Beispiel die obrigkeitliche Aufsicht über die Töchterschule und die fortbestehende räumliche Nähe der Eltern zu ihren Kindern.

Pensionate und Welschlandjahre

Nicht nur für Basler Patriziatsfamilien war es um 1800 üblich, die Kinder für eine gewisse Zeit in Pensionate im französischsprachigen Teil der Schweiz oder sogar im Ausland zu schicken. Die steigende Naturbegeisterung der Zeit trug wohl auch ihren Teil dazu bei, wenn es darum ging, die Kinder «von dem verderblichen Statt leben u was damit verknüpft ist, los zu reissen sie […] in ländlicher Ruhe u Beschäftigung zu erziehen», wie Anna Maria Preiswerk-Iselin 1812 anmerkte. Das soll aber nicht heissen, dass alle Kinder in ländliche Gegenden geschickt wurden. Der Vater von Preiswerk-Iselin verbrachte während seiner Jugend beispielsweise ein Jahr in Paris und der Sohn, Dietrich Preiswerk-Bischoff (1780-1819), reiste ins deutsche Hamburg.

Söhne und Töchter wurden auch während des Welschlandjahrs getrennt voneinander in Erziehungsanstalten untergebracht und in unterschiedlichen Bereichen unterrichtet. Der Aufenthalt bot sich dabei besonders für die Ausbildung und Verbesserung der Französischkenntnisse an. Die Mädchen wurden vor allem in hauswirtschaftlichen Belangen und praktischen Tätigkeiten unterwiesen.

Mädchenpensionat
Abb. 3: Fotografien aus einem Pensionat im Welschland, Neuchâtel Ende 19. Jhd., Fotografie Atelier Bruder frères (ⓒHistorisches Museum Basel).

Networking

Im Institut von Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827) in Yverdon erhielten die Mädchen zusätzlich zum Handarbeitsunterricht eine «ganzheitliche Bildung» in Ästhetik, Sittlichkeit und Religion. Anna Maria Preiswerk-Iselin war mit Pestalozzi bekannt und stand mit ihm in Briefkontakt. Sie besuchte das Institut, in dem auch einige ihrer Enkelinnen unterrichtet wurden, in den Jahren 1823 und 1824.

Das Institut wurde von Pestalozzi gegründet und ab 1808 durch die Berner Pädagogin und Pionierin weiblicher Bildung, Rosette Niederer-Kasthofer (1779-1857), geführt, später in Zusammenarbeit mit ihrem Mann, dem Appenzeller Pädagogen und Theologen sowie langjährigem Mitarbeiter Pestalozzis, Johannes Niederer (1779-1843). Rosette Niederer-Kasthofers pädagogisches Werk «Blicke in das Wesen der weiblichen Erziehung» (Berlin 1828) fand bei Preiswerk-Iselin grossen Zuspruch, besonders was die vermittelten sittlichen und religiösen Werte im Geiste Pestalozzis betraf.

Als sich Johann Heinrich Pestalozzi und Johannes Niederer ob unterschiedlicher Auffassungen in Fragen der Institutsleitung hoffnungslos zerstritten, versuchte Preiswerk-Iselin zu vermitteln (allerdings ohne Erfolg). Sie beriet sich mit anderen Pädagogen aus dem Kreis um Pestalozzi, und besuchte, wann immer möglich, das Berner Pädagogenpaar Fellenberg-Tscharner, mit dem sie eine enge Freundschaft verband. Preiswerk-Iselin scheint demnach Teil des pädagogischen Netzwerks gewesen zu sein, wenn auch nur zu einem gewissen Grad, wie sich an ihren eigenen pädagogischen Bestrebungen zeigt. Damit war sie als Frau nicht allein.

Eine Mädchenschule für Basel

Auf ihrem Anwesen St. Apollinaris im französischen Elsass nahm Anna Maria Preiswerk-Iselin oft und gerne ihre Enkelkinder auf, um diese in ländlicher Umgebung zu erziehen und zu unterrichten. Wie sich an diesem Beispiel zeigt, kann zu dieser Zeit nicht von einer klaren Trennung von Bildung und Erziehung gesprochen werden. Beide Ansätze gingen Hand in Hand.

St. Appollinaris
Abb. 4: Abtei und Landgut St. Apollinaris. Glasnegativ einer Federzeichnung von Emanuel Büchel, (ⓒStaatsarchiv Basel-Stadt).

Ihre eigene Bildung, für die sie sich in ihrem Tagebuch stets dankbar zeigte, empfand sie dennoch als unzureichend. Mit werdendem Alter konkretisierten sich daher Pläne für eine kleinere Mädchenschule, in der sie, mit Hilfe von mindestens einer weiteren weiblichen Lehrperson und einer Schulleiterin, sowohl ihre Enkelinnen wie auch einige weitere Mädchen unterrichten wollte. Preiswerk-Iselin formulierte dafür pädagogische Ansätze und verfasste Lehrpläne, in denen sie sämtliche Unterrichtsfächer, zeitliche Abläufe und zu vermittelnde Werte festhielt.

Neben sittlicher-religiöser Lehre sollten die Mädchen mindestens eine weitere Sprache lernen, in Mathematik und Geometrie unterwiesen werden, ebenso wie in Geografie und Naturgeschichte. Auch die schönen Künste, Musik und Zeichnen, fanden einen Platz im Lehrplan; und nicht zuletzt die «Erlernung aller weiblichen Arbeiten». Da Preiswerk-Iselin nicht genauer auf letzteres einging, bedurfte es für die Zeitgenoss:innen wohl keiner weiteren Erklärung. Folgt man einer Auflistung der Basler Töchterschule, handelte es sich um häusliche und textile Arbeiten wie das Stricken.

Neben «Frauenzimmer[n] vom gesitteten Mittelstande» zu unterrichten, plante Preiswerk-Iselin auch «Menschen vom niedren Stande nach ihren Kräften u Fähigkeiten zu ihrem Stande auszubilden». Ihr Anwesen im Elsass befand sie dafür allerdings als ungeeignet – umziehen wollte sie ohnehin. Daher entschloss sie sich 1826, im Alter von fast 70 Jahren, zu einem Bauprojekt vor dem Basler Aeschentor. Neben einem Wohnteil plante sie die Unterbringung der projektierten Mädchenschule im selben Gebäude. Preiswerk-Iselin war keine arme Frau, doch der Bau verschlang ein Vielfaches der ursprünglich budgetierten Kosten. Ihr blieb demnach nichts anderes übrig, als sich um finanzielle Unterstützung zu bemühen. Ausserdem war sie noch immer auf der Suche nach geeignetem (weiblichen) Personal.

Obwohl sie ihr gesamtes pädagogisches und soziales Netzwerk nutzte und sich über Jahre für ihr Vorhaben einsetzte (und das auch gegen den Willen ihrer Kinder), blieben ihre Bemühungen schliesslich vergebens. Die wohlhabenden Männer versagten ihr Gelder, nicht zuletzt, weil sie sich weigerte, ihr Schulkonzept einer Dienstbotinnen-Schule anzupassen. Auch die potenziellen Mitarbeiterinnen sprangen eine nach der anderen ab, wohl beeinflusst durch ihre Ehemänner oder andere männliche Verwandte, wie Preiswerk-Iselin vermutete.

Furch vor der «Weiberherrschaft»

Wie auch ihr Vater und andere Mitstreiter vor ihr, scheiterte Anna Maria Preiswerk-Iselin mit ihrem Altersprojekt am konservativen Zeitgeist, der öffentlich aktive, oder gar politisch aktive Frauen nicht wünschte. Zu ihrer Zeit hatte eine Mädchenschule unter weiblicher Führung und mit ausschliesslich weiblichem Personal keine Aussicht auf Erfolg.

Auch wenn das vorangegangene Ancien Régime gerne als Höhepunkt oder gar «goldenes Zeitalter» weiblicher Macht beschrieben wird, und die Französische Revolution als Umbruch ins Negative, war die Ausgrenzung der Frauen aus der Politik eher eine Kontinuität, wie neuere Forschung nahelegt. Die mächtigen Männer fürchteten noch immer eine «Weiberherrschaft» und zeitgenössische Debatten kritisierten den weiblichen Bildungsanspruch mitunter als unweiblich. Damit wären wir wieder beim Eingangszitat und der Frage, welchen Sinn man weiblicher Bildung um 1800 zusprach. Wobei sich die Sinnfrage ohne diese (männliche) Wertung wohl gar nicht stellen würde.

Quellen

Abb. 1: Portrait von Isaak Iselin in auf einer Elfenbeindose, die seiner Tochter Anna Maria gehörte. Basel 1797, gemalt von Marquard Fidel Domenikus Wocher (vor 07.09.1760-20.05.1830), (ⓒHistorisches Museum Basel, Natascha Jansen, Inv. 2014.543).

Abb. 2: Ansicht des Barfüsserplatzes gegen Süden. Links im Bild die Töchterschule. Basel 1820, gemalt von Maximilian Neustück (1756-1834), (ⓒHistorisches Museum Basel, Peter Portner, Inv. 2004.197).  

Abb. 3: Fotografien aus einem Pensionat im Welschland. Neuchâtel Ende 19. Jhd., Fotografie Atelier Bruder frères, (ⓒHistorisches Museum Basel, Peter Portner, Inv. 1969.369).

Abb. 4: Abtei und Landgut St. Apollinaris. Glasnegativ einer Federzeichnung von Emanuel Büchel, 1756, (ⓒStaatsarchiv Basel-Stadt, NEG B 847).

Handschriften:

Staatsarchiv Basel-Stadt: PA 511a (304-04-03): Die Tagebücher der Anna Maria Preiswerk-Iselin, 32 Hefte, 1795-1839.

Staatsarchiv Basel-Stadt: Erziehung W1, W2, W12: Töchterschule (Allgemeines, Rektorat, Jahresrechnungen).

Sekundärliteratur:

Esther Baur-Sarasin: Reflexionen einer gebildeten Baslerin, in: Basler Magazin 25 (27.06.1998), S.8.

C. Buol: Mädchenbildung im Geiste Pestalozzis. In: Bündner Schulblatt 12/2 (1952-1953), S.77-87.

Albert M. Debrunner: Frauenzimmerbibliotheken und Töchterschulen. Die Bemühungen Schweizer Aufklärer um die intellektuelle Bildung von Frauen, in: Librarium. Zeitschrift der Schweizerischen Bibliophilen-Gesellschaft 41/2 (1998), S.86-96.

Hans-Ulrich Grunder: Art. «Rosette Niederer-Kasthofer», in: Historisches Lexikon der Schweiz. Version vom 04.03.2009.

Johannes Gruntz-Stoll: Art. «Johannes Niederer», in: Historisches Lexikon der Schweiz. Version vom 24.08.2009.

Elke Kleinau / Claudia Opitz-Belakhal (Hg.): Geschichte der Mädchen und Frauenbildung. Band 1 und 2. Frankfurt / New York 1996.

Georg Kreis: Art. «Universität Basel», in: Historisches Lexikon der Schweiz. Version vom 28.01.2013.

Elmar Meier: Art. «Mädchenerziehung», in: Historisches Lexikon der Schweiz. Version vom 09.11.2006.

Claudia Opitz-Belakhal: Streit um die Frauen und andere Studien zur frühneuzeitlichen ‹Querelle des femmes›. Roßdorf bei Darmstadt 2020.

Christian Simon: Einleitung, in: Ders. (Hg.): Soziökonomische Strukturen. Frauengeschichte/Geschlechtergeschichte. Basel 1997, S.1-12.

Autorin

Selina Bentsch ist Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Departement  Geschichte der Universität Basel. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Selbstzeugnis- und Altersforschung sowie Geschlechtergeschichte im deutsch- und englischsprachigen Europa der Frühen Neuzeit, insbesondere der Sattelzeit (1750-1850).