Das «zweischneidige Schwert» Volksrechte schneidet scharf

Text: Eva Gschwind

Die Politiker täuschten sich. Die Basler Bevölkerung griff rasch zu den neuen Instrumenten Volksinitiative und Referendum, nachdem sie diese 1875 endlich erhalten hatte. Der direktdemokratische Spätzünder Basel-Stadt startete durch bis heute; in den letzten zehn Jahren kam es zu mehr Abstimmungen über Initiativen als je zuvor.

Gegen das "Ratsherrenregiment"

Andernorts in der Schweiz flogen in den 1830er Jahren die Knüttel, wurden Rebstecken erhoben und die Regierung geputscht – die Landbevölkerung blies zum demokratischen Umbruch und setzte erste Volksrechte durch. Auch Baselland führte eine Art Referendum ein. Die Stadt Basel hingegen igelte sich ein; zu gross war die mit der Kantonstrennung erlittene Schmach. Es war die Bundesverfassung, die Basel-Stadt vierzig Jahre später dazu zwang, die Demokratisierung ernsthaft anzugehen.

Auch für aufrechte Basler Konservative war unübersehbar geworden, dass das "Ratsherrenregiment" einer gehobenen Schicht, die den Staat patriarchal führte, überholt war. Die Klein- und Grossräte, die 1874/75 eine moderne Verfassung für den Stadtkanton ausarbeiteten, meinten es deshalb durchaus ernst mit der Volkssouveränität. Allerdings hegten sie mit Blick auf andere Kantone, wo es zu Streit und Blockaden kommt, auch Bedenken. Die einen wollten deshalb zunächst wie der Bund nur das Referendum einführen. Weil andere aber das Instrument der Initiative wichtiger fanden, schlug eine knappe Mehrheit schliesslich beides vor. Und das Volk stimmte der neuen Verfassung im Mai 1875 bei mässiger Stimmbeteiligung mit über 80% Ja zu.

Die Tatsache, dass das Volk nun neu direkt in der Politik mitbestimmte, sprach Alterspräsident Samuel Bachofen in seiner Eröffnungsrede vor dem neuen Grossen Rat an. Das Referendum sei ein "zweischneidiges Schwert". Aber das Volk habe doch das Recht, es zu besitzen und müsse lernen, damit "wie mit anderen, ebenfalls gefährlichen Waffen umzugehen". Wie die Verfassungskommission glaubte auch er, dass die neuen Instrumente eher selten zur Anwendung kommen würden, weil der Grosse Rat das Volk schliesslich vertrete. Ausserdem bildet die nötige Unterschriftenzahl von je 1'000 eine namhafte Hürde.

Plakat Unvereinbarkeitsinitiative 1922
Mehrfach im Visier der Volksrechte: Die Beamten, wie 1922 bei der Unvereinbarkeitsinitiative von Staatsdienst und Grossratsmandat (Plakatsammlung Schule für Gestaltung Basel).

Erstes Referendum fällt ins (Trink-)Wasser

Zunächst schienen die Räte Recht zu behalten. Denn der erste Versuch freisinniger Kreise, das Parlament zu korrigieren, scheiterte noch im selben Jahr kläglich. Gegen den Grossratsentscheid, das Trinkwasser zu verstaatlichen und dafür der bisherigen Wasserversorgungs-Gesellschaft einen stattlichen Preis zu bezahlen, kamen nur 600 Unterschriften zusammen. Die Gegner hatten zu spät mit Sammeln begonnen, und dann war die Sache im Trubel des in Basel stattfindenden eidgenössischen Sängerfests untergegangen.

Die Basler lernten aber rasch. Schon im Jahr darauf bodigten sie mit dem ersten zustande gekommenen Referendum das Kanalisationsgesetz, welches den unzumutbaren hygienischen Verhältnissen in der Altstadt hätte ein Ende setzen sollen. Hauseigentümer und Birsiganwohner scheuten die Kosten, und die Altstadt stank weitere Jahre vor sich hin. Basel-Stadt erhielt– im wahrsten Sinne – einen Vorgeschmack, dass die Volksrechte auch fortschrittshemmend wirken können.

Finanzielle "Monstrositäten"

1876 wurde auch die erste Volksinitiative für den raschen Bau der Johanniterbrücke eingereicht. Vergeblich las der konservative Grossrat Vischer-Merian den Befürwortern gehörig die Leviten. Die Volksrechte seien Instrumente der gefährlichsten Sorte und führten "zu den allergrössten Monstrositäten". Das Volk müsse erkennen, dass es seine Begehrlichkeiten finanzieren müsse. Doch die erste Initiative reüssierte. Die wohl gewichtigste Initiative überhaupt setzte 1905 die Proporzwahl durch und damit den gerechten Zugang der Arbeiterschaft und Katholiken zum Parlament.

Bis heute haben die Basler – und seit 1966 auch endlich die Baslerinnen – gegen 200 Volksinitiativen und über 300 Referenden zur Urne gebracht, mit einer Erfolgsquote von je gegen 40%. Und der Griff zu den Volksrechten bleibt beliebt: Während bei den Referenden die behördenkritischen 1970er Jahre mit 51 Referenden obenaus schwingen, erreichte das Jahrzehnt 2010-2019 mit 29 den Rekord an Initiativen.

Versuchen, die Volksrechte zu schwächen, widersetzten sich die Stimmberechtigten. Zwar passten sie die Unterschriftenzahlen mehrfach an. Tendenzen wie jener, Initiativen jahrelang zu schubladisieren, schoben sie aber einen Riegel vor – natürlich per Volksrechte.

Plakat Gewerbeverband 2007
Damit das Schwert noch besser schneidet: Initiative des Gewerbeverbands Basel-Stadt 2007 (Archiv Gewerbeverband Basel-Stadt).

Quellen

NZZ, 27.7.2017, Wie das Volk für seine Herrschaft kämpfte.

Gutachten und Entwurf zu einer neuen Verfassung des Kantons Basel-Stadt vom 18.1.1875.

Grossratsprotokoll 17.6.1875 (Zitat Bachofen).

Basler Nachrichten, 12.04.1877 (Zitat Vischer-Merian) und 16.7.1875 (Trinkwasser).

Werner Aschwanden, Die Wasserversorgung der Stadt Basel von 1866 bis 2016, S. 66.

Statistische Jahrbücher des Kantons Basel-Stadt (seit 1921); Kantonsblätter Basel-Stadt (seit 1875).

Abb. 1: Plakat von: unbekannt. Plakatsammlung der Schule für Gestaltung Basel, Signatur 4158.

Abb. 2: Archiv Gewerbeverband Basel-Stadt mit freundlicher Genehmigung.

Autorin

Eva Gschwind ist Beauftragte für Öffentlichkeitsarbeit des Grossen Rates Basel-Stadt. Die Politologin arbeitet an einer Publikation inkl. Online-Datenbank zu den Basler Volksrechten. Sie ist Mitglied des Vereins Basler Geschichte.