"Zu keiner Jahreszeit war Stettlers untrüglicher Sinn für Schönheit so gefragt, wie in den Wochen vor Weihnachten. Sein Wissen über unterschiedliche Farben, Formen und Materialien, sein Sinn für Raum und Symmetrie, für Hell und Dunkel, Licht und Schatten, kurzum, die Summe all seiner Fähigkeiten war unverzichtbar". So führt der Schriftsteller Alain Claude Sulzer in "Unhaltbare Zustände" seinen Protagonisten ein.
Der fiktive Stettler ist Schaufensterdekorateur in einem Berner Kaufhaus, ein biederer älterer Herr, der sein Tagewerk in Krawatte und Arbeitskittel verrichtet. Wir schreiben das Jahr 1969, die Jugend rebelliert, Autoritäten stürzen. Auch an den Warenhäusern geht der Zeitgeist nicht spurlos vorbei, auch wenn Stettler mit Schere, Massstab und Krepp-Papier dagegen ankämpft. Ein jüngerer Konkurrent stiehlt im die Schau, indem er Schauspieler statt Waren ins Schaufenster stellt, Puppen aus Fleisch und Blut. Ein Theaterstück hinter der Glaswand, das Publikum auf der Strasse jubelt. Und Stettler muss feststellen, dass die neuartige Performance mehr zieht als sein traditionelles Dekorationshandwerk. Er ist am Boden zerstört.
Der Roman spielt in Bern, sein Autor aber ist Basler, und als solcher hat er sich wohl auch von den Warenhäusern seiner Heimatstadt inspirieren lassen: Von Knopf, den Magazinen zur Rheinbrücke oder vom mondänen Globus. In der Geschichte von Globus nimmt das Schaufenster von Anfang an einen prominenten Platz ein: 1892 eröffnet sein Gründer Josef Weber in Zürich mit dem J. Webers Bazar das erste grosse Kaufhaus der Schweiz.
Für Verzückung sorgen die elektrisch beleuchteten Schaufenster, die der ausgestellten Ware eine besonders betörende Aura verleihen. Auch Nachtschwärmer sind potenzielle Kunden. Genau das macht die Stadt aus: Sie ist rund um die Uhr "in Betrieb". Nachts präsentiert sie sich im künstlichen Licht der Strassenlampen, Reklameschilder und Schaufensterbeleuchtungen. Erst in der Dunkelheit schöpfen Schaufenster als "optische Stolpersteine", wie der Kunsthistoriker Tilman Osterwold sie nennt, ihr ganzes Potenzial im Stadtbild aus.