Und ewig lockt die Ware.

Das Schaufenster als «optischer Stolperstein» im Stadtbild

Text: Nathalie Baumann

Die moderne Stadt ist ohne Kaufhaus nicht zu denken. Und das Kaufhaus nicht ohne Schaufenster. Schaufenster zeichnen ganze Strassenzüge. Sie prägen das Gesicht der Stadt. Insofern haben Schaufensterdekorateur*innen eine wichtige Rolle bei der Gestaltung des Stadtraums. Wer von ihnen sein Fach beherrscht, lässt zudem die Kassen klingeln: Schaufenster machen den Flaneur zum Kunden.

Der Lockruf der Waren

"Zu keiner Jahreszeit war Stettlers untrüglicher Sinn für Schönheit so gefragt, wie in den Wochen vor Weihnachten. Sein Wissen über unterschiedliche Farben, Formen und Materialien, sein Sinn für Raum und Symmetrie, für Hell und Dunkel, Licht und Schatten, kurzum, die Summe all seiner Fähigkeiten war unverzichtbar". So führt der Schriftsteller Alain Claude Sulzer in "Unhaltbare Zustände" seinen Protagonisten ein.

Der fiktive Stettler ist Schaufensterdekorateur in einem Berner Kaufhaus, ein biederer älterer Herr, der sein Tagewerk in Krawatte und Arbeitskittel verrichtet. Wir schreiben das Jahr 1969, die Jugend rebelliert, Autoritäten stürzen. Auch an den Warenhäusern geht der Zeitgeist nicht spurlos vorbei, auch wenn Stettler mit Schere, Massstab und Krepp-Papier dagegen ankämpft. Ein jüngerer Konkurrent stiehlt im die Schau, indem er Schauspieler statt Waren ins Schaufenster stellt, Puppen aus Fleisch und Blut. Ein Theaterstück hinter der Glaswand, das Publikum auf der Strasse jubelt. Und Stettler muss feststellen, dass die neuartige Performance mehr zieht als sein traditionelles Dekorationshandwerk. Er ist am Boden zerstört.

Der Roman spielt in Bern, sein Autor aber ist Basler, und als solcher hat er sich wohl auch von den Warenhäusern seiner Heimatstadt inspirieren lassen: Von Knopf, den Magazinen zur Rheinbrücke oder vom mondänen Globus. In der Geschichte von Globus nimmt das Schaufenster von Anfang an einen prominenten Platz ein: 1892 eröffnet sein Gründer Josef Weber in Zürich mit dem J. Webers Bazar das erste grosse Kaufhaus der Schweiz.

Für Verzückung sorgen die elektrisch beleuchteten Schaufenster, die der ausgestellten Ware eine besonders betörende Aura verleihen. Auch Nachtschwärmer sind potenzielle Kunden. Genau das macht die Stadt aus: Sie ist rund um die Uhr "in Betrieb". Nachts präsentiert sie sich im künstlichen Licht der Strassenlampen, Reklameschilder und Schaufensterbeleuchtungen. Erst in der Dunkelheit schöpfen Schaufenster als "optische Stolpersteine", wie der Kunsthistoriker Tilman Osterwold sie nennt, ihr ganzes Potenzial im Stadtbild aus.

Abb. 1: Neugierige Blicke in ein Schaufenster an der Riehenstrasse, um 1931 (© Staatsarchiv Basel-Stadt).

In Erwartung kommender Dinge

Die architektonische "Wohlfühlzone" des modernen Konsumenten wird um 1800 erschaffen: Mitten in Paris werden die Galeries errichtet: Von Schaufenstern gesäumte Ladenstrassen mit Glasdächern, die vor Wind und Regen schützen. Zum Werbemedium werden die Schaufenster im späten 19. Jahrhundert, durch Erfindung und Einsatz des elektrischen Lichts. In den Roaring Twenties wird das Schaufenster schliesslich zum Massenmedium und zum unentbehrlichen Bestandteil einer neuen Konsumkultur. Nun sind Leute gefragt, die die Waren so vorteilhaft inszenieren, dass die Fussgänger*innen nicht widerstehen können. Ein neuer Beruf entsteht: der Schaufensterdekorateur. Berufsverbände und Zeitschriften werden gegründet und Lehrprogramme entwickelt.

Auch Basel hat in den 1910er-Jahren seine erste grössere Einkaufsstrasse. Im 2013 erschienenen Sammelband Schaufensterkultur – Inszenierte Warenwelt in Basel zeichnet die Architekturhistorikerin Dorothée Huber Haus für Haus nach, wie sich die Freie Strasse innerhalb von zwanzig Jahren zu einer eleganten Geschäftsstrasse entwickelt.

Dass man die wachsende Bedeutung des Schaufensters auch hierzulande erkennt, zeigt 1944 eine Ausstellung im Gewerbemuseum Basel mit namhafter Beteiligung. Der Basler Architekt Paul Artaria schreibt im Katalog: "Die Architektur der Geschäftsstrassen unserer Städte ist in ihrem ständigen Wechsel ein deutliches und konformes Abbild unserer Städte: (...) alles ist im Fluss und in Erwartung kommender Dinge".

Zum Beispiel Olga Bader

Während in Deutschland bereits in den 1910er-Jahren die Höhere Fachschule für Dekorationskunst gegründet und die Berufe Verkäufer*in und Schaufensterdekorateur*in voneinander getrennt werden, ist in der Schweiz erst in den 1930er-Jahren eine Professionalisierung festzustellen. Noch 1934 klagt ein unbekannter Autor in der Zeitschrift Das Werk: "Man sollte erwarten, dass unsere Gewerbeschulen diesem Beruf, der immer wichtiger wird, die nötige Förderung schenken, doch das ist leider noch nicht der Fall (...). Wirklich erspriessliche regelmässige Kurse gibt es einzig an der Allgemeinen Gewerbeschule Basel".

Diese Kurse besucht auch Olga Bader und schliesst mit Auszeichnung ab. Der Inhaber des Teppichgeschäfts Matzinger ist beeindruckt vom Talent der jungen Dekorateurin, die sein Weihnachtsfenster gestaltet hat. 1934 bescheinigt er ihr: "Noch nie ist mein Schaufenster dermassen von Jung und Alt beachtet worden wie dieses (...) Ich muss Ihnen zu der wirklich glänzenden Idee gratulieren".

Schaufenster Teppichgeschäft Matzinger
Abb. 2: Das von Olga Bader gestaltete Schaufenster für das Teppichgeschäft Matzinger (© Staatsarchiv Basel-Stadt).

Für Matzinger kreiert Olga Bader höchstwahrscheinlich auch das Schaufenster "Frühturnen", das dem Zeitgeist insofern verpflichtet ist, als sich in diesen Jahren der Freizeitsport etabliert. Auch bei den Frauen. Das Schaufenster zeigt eine Frau in Sportkleidung, die zuhause vor dem Radio Gymnastikübungen macht – "selbstverständlig nur uff eme warme Teppich!". Bereits 1930 gestaltet Olga Bader regelmässig die Schaufenster von Musik Hug. Später bekommt sie unter anderem Aufträge der Traditionshäuser Füglistaller und Goldene Apotheke. Berufstätige Frauen sind zu dieser Zeit noch selten, gerade in der Schweiz. Unter dem Druck ihrer Schwiegereltern beendet Olga Bader ihre berufliche Karriere nach ihrer Heirat und der Geburt ihres Kindes.

Zum Beispiel Jean Tinguely

Obwohl die Nachfrage gross ist, dauert es lange, bis die Allgemeine Gewerbeschule Basel eine eigene Ausbildung für Schaufensterdekoration anbietet. Aufgrund der kleinen Zahl an Lehrlingen – 1942 sind es elf verteilt auf drei Lehrjahre – werden diese jeweils in gemischten Klassen untergebracht. Dass dies nicht optimal ist, weiss auch die Schule, die im Übrigen hart dafür kämpft, dass ihre Abgänger*innen eine fundierte theoretische Ausbildung bekommen.

Seit Mitte der 1930er-Jahre tauschen sich Schule, der Verband Schweizerischer Schaufensterdekorateure und das kantonale Arbeitsinspektorat rege über Dauer und Curriculum der Ausbildung aus. Im Unterschied zur Schule will der Verband weniger Theorie und mehr Praxis. Einig sind sich die Parteien lediglich darin, dass der Beruf mittlerweile dermassen anspruchsvoll ist, dass eine Erhöhung der Lehrzeit von zwei auf drei Jahre angezeigt ist. Das Prestige des Berufs rührt unter anderem auch daher, dass sich immer wieder auch Architekt*innen und Künstler*innen mit der Schaufenstergestaltung auseinandersetzen. So beispielsweise der Wahlbasler Jean Tinguely.

Tinguely beginnt 1941 seine Lehre bei Globus, ist jedoch dermassen undiszipliniert, dass er 1943 entlassen wird. Glücklicherweise nimmt der freischaffende Dekorateur Joos Sutter den jungen Wilden unter seine Fittiche und schickt ihn in die Allgemeine Gewerbeschule, wo er schliesslich ein passenderes Umfeld findet. Tinguely entwirft unter anderem Schaufenster für Ramstein Optik, Wohnbedarf oder Emmy Modes. Betrachtet man die Arbeiten aus dieser Zeit, ist darin bereits angelegt, was den späteren Tinguely unverwechselbar macht, etwa die häufige Verwendung von Draht für seine Figuren.

Abb. 3: Das 1950 von Jean Tinguely gestaltete Schaufenster für Emmy Modes (© Staatsarchiv Basel-Stadt).

Das langsame Sterben

Die 1980er-Jahre sind der Anfang vom Ende der professionellen Schaufenstergestaltung. Die Trennung zwischen Schaufenster und Verkaufsraum verschwindet, der Quadratmeterpreis in der Innenstadt ist teuer. Zudem planen die Warenhäuser die Dekoration ihrer Filialen zunehmend an zentraler Stelle und nehmen vor Ort nur noch wenige Anpassungen vor. Dafür braucht es keine eigene Dekorationsabteilung mehr, geschweige denn Leute, die auf die Gestaltung spezialisiert sind.

Freie Strasse
Abb. 4: Die Freie Strasse ("d Freie"): die Shoppingmeile von Basel (© Alamy Stock Foto).

Auch werden die Werbemöglichkeiten immer mehr. Neben dem Schaufenster als Vermittler zwischen Ware und Kunde treten Radio, Fernsehen und das Internet. Der Online-Shop schliesslich setzt nicht nur dem Schaufenster zu, sondern fegt ganze Kaufhäuser von der Stadtkarte. Diese sind gezwungen, sich zu verkleinern und sich komplett neu zu erfinden. Auch die jüngsten Entwicklungen schlagen sich im Stadtbild nieder. Selbst grosse Kaufhäuser schliessen, von den kleinen Läden ganz zu schweigen. Die Innenstädte werden von internationalen Ketten dominiert mit der Folge, dass alle einander gleichen. Nur die Ketten können sich einen Standort an zentraler Lage überhaupt noch leisten. Ein Glück, dass Stettler, der Berner Schaufensterdekorateur aus Sulzers Roman, dies nicht mehr erleben muss.

Autorin

Nathalie Baumann ist empfänglich für die Kunst der Verführung von Schaufenstern. Sie hat an der Universität Basel Geschichte und Germanistik studiert und arbeitete im Journalismus und im Ausstellungsbereich. Heute ist sie Öffentlichkeitsverantwortliche an der Universitätsbibliothek Basel und Co-Autorin von Band 9 der neuen Basler Stadtgeschichte.

Quellen

Staatsarchiv Basel-Stadt: Schaufensterdekorateur [neu: Dekorationsgestalter] (1113)
DI-REG 5a 2-4-3(2)110 zwischen ca. 1934 und 1975.

Staatsarchiv Basel-Stadt: Schaufensterdekorateure, ED-REG 8a 8-8, 1934-1942.

Gewerbemuseum Basel (Hrsg.): Ausstellung "Das Schaufenster. 16. April bis 14. Mai 1944" (Basel 1944).

Dominik Müller, Jean Tinguely. Motor der Kunst (Basel 2015).

Ruth K. Scheel (Hrsg.), Schaufensterkultur – Inszenierte Warenwelt in Basel (Basel 2013).

Württembergischer Kunstverein (Hrsg.), Texte Tilman Osterwold: Schaufenster. Die Kulturgeschichte eines Massenmediums (Stuttgart 1974).

Alain Claude Sulzer, Unhaltbare Zustände (Köln 2019).

"Zur Ausbildung von Schaufensterdekorateuren", in: Das Werk. Architektur und Kunst, Band 21, 1934, S. 366-371.

Abb. 1: Staatsarchiv Basel-Stadt, Fotoarchiv Wolf, NEG 2022.

Abb. 2: Staatsarchiv Basel-Stadt, BSL 1041 1-2 4.

Abb. 3: Staatsarchiv Basel-Stadt, Fotoarchiv Peter Moeschlin, BSL 1022 KA 1684 B.

Abb. 4: Danita Delimont / Alamy Stock Foto, Bild-Nr. OY50286904.