Als Staatsgefangener lebt Lavater vergleichsweise gut: Er erhält ein eigenes Zimmer am Münsterplatz, wo ihn Basler Bekannte – Pietisten, Pfarrer, Kunstliebhaber – besuchen und mit Geschenken erfreuen. Unter ihnen Jakob Sarasin, der reiche Basler Seidenfabrikant, mit dem Lavater schon lange korrespondiert, oder Johann Rudolf Huber, Pfarrer in Riehen, der die Ansichten des Gefangenen in seinem "Sonntagsblatt" veröffentlicht. Aber auch Anhänger der Revolution erweisen Lavater die Ehre, so Peter Vischer-Sarasin, der Präsident des Basler Kantonsgerichts, oder der Müller Johann Jakob Schäfer aus Seltisberg, ein Mitglied der Baselbieter Verwaltungskammer. Alte und neue Eliten gehen bei Lavater im Reischacherhof ein und aus: Man lebt in Basel Tür an Tür mit unterschiedlichen politischen Ansichten, nicht zuletzt wegen vielen verwandtschaftlichen Beziehungen, die man in der Helvetik nicht einfach aufkündigt.
Im August 1799 ist Lavater zurück in Zürich und rekapituliert sein Exil in den "Freymüthigen Briefe über das Deportationswesen". Diese Briefe zeigen uns einen Zeitgenossen, der im persönlichen Umgang ein offenes Ohr für Revolutionsfreunde und -gegner hat: Von Angesicht zu Angesicht findet Lavater leicht zu einer gemeinsamen Verständigung. Für die Anliegen der politischen Masse aber hat Lavater weder Gespür noch Worte: Er spricht hier nur vom Handeln eines gesichtslosen Kollektivs, des "Pöbels", womit er das Schlagwort aufgreift, mit dem die damaligen Machthaber ihre Angst vor den neuen Bürgerinnen und Bürgern ausdrücken. Aus diesem Pöbel entsteht dann im 19. Jahrhundert eine demokratische Bevölkerung. Das aber dauert länger als einen Mai – ähnlich lang wie die Änderung der Basler Gangart beim Kirchgang ...