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Gammler, Rocker, Kommunarden - Notschlafstellen für Jugendliche in Basel

Text: Miriam Baumeister

Wenn heute von Obdachlosigkeit und Notschlafstellen die Rede ist, erscheint vor dem inneren Auge meist das Bild des älteren Randständigen. Anfang der 1970er Jahre waren es aber vor allem obdachlose Jugendliche, um die sich die Basler Behörden sorgten.

Der Preis der Freiheit

Das Freiheitsgefühl der 1968er bewirkte, dass jeden Sommer eine Vielzahl junger Reisende Halt in Basel machte. Bereits 1971 betrieb die Jugendherberge daher auf dem Gellertfeld eine Notschlafstelle für Tramper. Allerdings gab es auch Jugendliche aus Basel selber, die eine Bleibe suchten. Ein Teil von ihnen suchte den Ausstieg aus der Gesellschaft. Andere liefen aus Heimen oder vor ihren Eltern davon. Manche waren auch Mitglied einer Rockerbande. Wer keine Arbeit, keine Dokumente oder auch nur die falsche Haarlänge hatte, fand privat kaum ein Zimmer. Wer in politischen Kommunen Aufnahme fand, musste deren Ziele unterstützen. Nicht wenige Wohnprojekte scheiterten an Uneinigkeit.

«Sleep-In I» am Spalenring

Am Spalenring 121-125 kamen 1971 die verschiedenen Gruppen für kurze Zeit auf engem Raum zusammen. Nachdem sowohl die politisch motivierte «Spectromachie» am Claragraben geschlossen worden war als auch die Rockergruppe «Sky-Devils» ihr Hauptquartier an der Drahtzugstrasse hatte verlassen müssen, fanden beide am Spalenring Unterschlupf. Die «Arbeitsgemeinschaft für aktuelle Jugendfragen» eröffnete dort die erste Notschlafstelle für Jugendliche, das «Sleep-In». Aber bereits am 22. September 1972 wurden die Liegenschaften unter grossem medialem Interesse polizeilich geräumt. Die Jugendlichen standen auf der Strasse.

«Sleep-In II» in der Elisabethenschanze

Im Hinblick auf die Räumung hatte das Jugendamt die Zivilschutzanlage in der Elisabethenschanze als neues «Sleep-In II» zur Verfügung gestellt. So konnten viele Jugendliche von einer Notschlafstelle in die andere umziehen. Diese Lösung war allerdings mehr schlecht denn recht; die Betreuung und die Räumlichkeiten waren gänzlich unzureichend. An einer dringlich einberufenen Konferenz beschloss die Basler Jugendfürsorge dennoch, den Bunker vorläufig offen zu halten, da die Gefahr bestehe, "dass die Insassen des Zivilschutzbunkers bei einer allfälligen Schliessung die [bereits] geschlossenen Kommunen überschwemmen". Am 15. Januar 1973 schliesslich wurde das «Sleep-In II» wegen «unhaltbarerer Zustände» geschlossen. Die Behörden störten sich vor allem daran, dass dort auch polizeilich gesuchte Jugendliche unterkamen. Von Juli bis Mitte Oktober 1972 wurden 8’895 Übernachtungen verzeichnet. Handlungsbedarf war also gegeben: Ende März 1973, nach der Schliessung des ersten Autonomen Jugendzentrums in Basel, wurde endgültig entschieden, eine staatliche Notschlafstelle einzurichten.

«Ausgeflippte» am Klosterberg

Die Notschlafstelle des Jugendamtes wurde Anfang April 1973 am Klosterberg 25 eröffnet. Allerdings konnte man im August im Basler Volksblatt lesen: «Wer vom Barfüsserplatz zur Notschlafstelle am Klosterberg geht, muss erschrecken: Da geht er zuerst am stolzen neuen Theater vorbei und tritt dann jäh in eine ganz andere Welt. Hier stellt der Staat ausgeflippten jungen Menschen eine Abbruchbude zur Verfügung, die jeder Beschreibung spottet». Auch die Mitarbeitenden und Verantwortlichen des Jugendamtes kritisierten insbesondere die sanitären Verhältnisse. Anfangs gab es nicht einmal eine Dusche. Zudem bereitete es Probleme, die rund 20 Übernachtenden jeweils am Morgen ohne Beschäftigungsmöglichkeit auf die Strasse zu stellen. Es dauerte noch gut zwei Jahre, bis das Amt die nötigen Gelder zugesprochen bekam, um eine Notschlafstelle mit Betreuung und Arbeitstraining im Sinne der modernen Sozialarbeit zu führen. Aus den meisten Kommunen wurden derweil gesellschaftlich akzeptierte Wohngemeinschaften, die keine staatlichen Kontrollen mehr zu fürchten hatten.

Autorin

Miriam Baumeister, Historikerin, verfasst an der Universität Basel eine Dissertation zur Fremdplatzierung von Jugendlichen in den Jahren 1950-1985. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der PH Luzern im Forschungsprogramm des Schweizerischen Nationalfonds "Fürsorge und Zwang" (NFP 76). Ihre Forschungsschwerpunkte sind Sozial-, Regional- und Biografiegeschichte. Miriam Baumeister ist Mitglied des Vereins Basler Geschichte.

Quellen

StABS, ED-REG 1c (3) 373-10: Jugendhilfe 1973-1976.

StABS, PD-REG 1a 1972-469: Junge Obdachlose, Unterbringung Temporäre Notunterkunft Klosterberg 25.

StABS, PD-REG 1c 15 (1) 523: Sleep-In 2, Zivilschutzanlage Elisabethenschanze.

StABS, PD-REG 4f 13-3 (1) 1 (Jugendfragen): Kommunen 1971-1972.

Abb. 1: StABS BSL 1013 1-5566 1: Sleep-in (Elisabethengarage), Hans Bertolf, 31.07.1972.