Im Fluss: Nachdenken über Basler Wasser

Text: Claudia Moddelmog

Von Flüssen und Kanälen, Brunnen und Leitungsnetzen, von Teichen und modernen Wasserkraftwerken – die Historikerin Claudia Moddelmog teilt ihre Gedanken zu Wasser in Basel und seine Bedeutung für die Geschichte der Stadt.

«Eine Stadt ist nicht zu verstehen, wenn man ihre Topographie nicht kennt.

Eine Geschichte vom Wasser

Als ich im Bewerbungsgespräch bei Stadt.Geschichte.Basel nach Ideen für eine neue Basler Stadtgeschichte gefragt wurde, redeten wir bald über Wasser. Ich stellte mir eine Erzählung vor, in der Basels Geschichte dem Wasser folgt: Eine Geschichte von Flüssen und Kanälen, von Brunnen und Wassermühlen bis zur Kanalisation und zu den modernen Wasserkraftwerken. Dieser ersten, gänzlich imaginativen Annäherung an Basels Wasser folgten bald konkretere. Ich schlenderte durch die Grossbasler Altstadt und merkte, wie wichtig das Birsigtal für meine Orientierung war. Münster und Fischmarkt, Kornmarkt und St. Peter, Barfüsserplatz und Leonhardskirche verknüpfe ich seitdem mit der Lage am Birsig und an seinen Talhängen. Im kollegialen Gespräch formulierte der Archäologe Christoph Matt später, eine Stadt sei nicht zu verstehen, wenn man ihre Topographie nicht kenne. Die Wasserläufe machen das für Basel sofort konkret.

Die Pläne des Hans Zschan

Als ich zum Team von Band 3 (1250-1530) stiess, war Wasser dort längst ein Thema. Es sollte in einem Kapitel über Ressourcen eine Hauptrolle spielen als ein für den Menschen unverzichtbarer Stoff, dessen flüssiger Zustand ganz eigene Aneignungs- und Nutzungsweisen bedingt. Wasser lädt dazu ein, über die Stadt als Ort nachzudenken, an dem Menschen sich Ressourcen sichern und miteinander teilen müssen. Ob die Basler Zeitgenossen zwischen 1250 und 1530 in diesem Sinne mit Wasser umgingen, darüber verhandelten und sogar gesamthaft reflektierten, das wusste ich anfangs nicht. Dann stiess ich auf zwei monumentale Zeugnisse, die im Staatsarchiv Basel lagern und mich bis heute nicht loslassen. Es handelt sich dabei um Übersichtspläne, die um 1500 der städtische Wassermeister Hans Zschan gemeinsam mit einem kunstfertigen Zeichner anfertigte. Sie zeigen das System der Basler Spalen- und der Münsterbrunnwerke. Der Plan des Münsterbrunnwerks hat eine Grösse von zweieinhalb auf sieben Meter, ähnlich sind die Abmessungen des zweiten Spalenwerkplans.

Der Brunnwerkplan zeigt das System der Brunnstuben vor der Stadt, die Unterquerung der Stadtmauer (obere Bildmitte) und das Leitungsnetz samt Laufbrunnen in der Stadt. Bild: Staatsarchiv Basel-Stadt.
Der Brunnwerkplan zeigt das System der Brunnstuben vor der Stadt, die Unterquerung der Stadtmauer (obere Bildmitte) und das Leitungsnetz samt Laufbrunnen in der Stadt. Bild: Staatsarchiv Basel-Stadt.

Wasserkunst um 1500

Die Zschan-Pläne machen staunen – und genau das sollten sie wohl auch schon tun, als sie gezeichnet und beschriftet wurden. Die Bemühungen, die in dieser Darstellung stecken, sind allein schon über die Ausmasse und die sorgfältige Kolorierung offenkundig. Genaueres Hinsehen lässt zahlreiche Details erkennen, vor allem aber ein hohes Mass an Abstraktion und Systematik. Die Zeichnungen präsentieren sich weder als quasi natürliches Abbild noch als massstäblicher Grundriss. Sie erfassen das System der Wasserleitungen in ähnlicher Weise wie moderne Linienpläne den Streckenverlauf öffentlicher Verkehrsmittel. Und ebenso wie diese modernen Pläne präsentieren sie ein öffentliches Gut, das "der Stadt" gehört.

Nur ein einziger "Privatbrunnen" war nach dem Zschan-Plan in einem Garten situiert. Falls der Brunntrog tatsächlich aus Stein und nicht aus Holz bestand, hatten die Zscheckenbürlin ein echtes Prunkstück. Bild: Staatsarchiv Basel-Stadt.
Nur ein einziger "Privatbrunnen" war nach dem Zschan-Plan in einem Garten situiert. Falls der Brunntrog tatsächlich aus Stein und nicht aus Holz bestand, hatten die Zscheckenbürlin ein echtes Prunkstück. Bild: Staatsarchiv Basel-Stadt.

«(...) all das machte Stadt – Stadt als von vielen geteilten, gemeinsamen Raum.

Wasser macht Stadt

Die Brunnwerke selbst müssen im 13. Jahrhundert entstanden sein und standen zunächst unter kirchlicher Regie, denn die Stiftskirche Sankt Leonhard und das Domkapitel sassen auf den Wasserquellen vor der Stadt. Zwingend nötig war der Brunnwerkbau damals kaum. Zürich etwa kam wesentlich länger mit Grundwasserbrunnen oder gefassten Quellen zurecht, die auch in Basel reichlich vorhanden waren. Der Bau der Leitungsnetze setzt deshalb einen enormen kollektiven Willen voraus, einen Prozess der Verständigung, in dem über die Mühen, Kosten und Unterhalt der Anlage Einigkeit erzielt wurde. Diese Verhandlungen, die geteilte Anstrengung des Leitungsbaus, der erste Tag, an dem ein Laufbrunnen Wasser spendete und schliesslich die Anlage als Ganze: all das machte Stadt – Stadt als von vielen geteilten, gemeinsamen Raum.

Wasserhoheit und städtische Institutionen

1317 übergaben die Stiftsherren bei Sankt Leonhardt und das Domkapitel die Aufsicht über das Leitungsnetz an den städtischen Rat. Es scheint mir wichtig, dass nicht zu schlicht als Kommunalisierung zu erzählen. Die Entstehung der Anlage zeigt ja, dass Kommunalisierung sich auch zuvor schon vollzogen haben muss und dass insbesondere die Kirchen dabei mitwirkten oder sogar Initiatoren waren. Dafür spricht auch die Positionierung der meisten öffentlichen Laufbrunnen in unmittelbarer Nähe von städtischen Kirchen noch um 1500, wie aus dem Plan des Münsterbrunnwerks hervorgeht. Von daher stellt sich die Frage, was eigentlich eine städtische Institution ist. Ohne die Bedeutung der Basler Stadträte zu unterschätzen, können wir die Basler Leitungswasserversorgung nicht von unseren modernen Gewohnheiten her als Schöpfung eines zuständigen Amts denken.

Die restaurierte Basler Papiermühle - heute das Schweizerische Museum für Papier, Schrift und Druck - erinnert daran, dass der St. Albankanal (Dalbedych) seit dem 12. Jahrhundert ein regelrechter "Technopark" war, an dem die Strömung zahlreiche Wasserräder am Laufen hielt. Bild: Kostas Maros, Basler Papiermühle.
Die restaurierte Basler Papiermühle - heute das Schweizerische Museum für Papier, Schrift und Druck - erinnert daran, dass der St. Albankanal (Dalbedych) seit dem 12. Jahrhundert ein regelrechter "Technopark" war, an dem die Strömung zahlreiche Wasserräder am Laufen hielt. Bild: Kostas Maros, Basler Papiermühle.

«Wassergeschichte ist eine Geschichte permanenter Konfliktbewältigung.

Ressourcenkonflikte

Die Brunnwerkpläne Zschans zeigen nicht nur Allmendbrunnen. In der Nähe des Münsters und der Martinskirche gab es eine ganze Reihe von Brunnen auf den Höfen städtischer Aristokraten. Seit dem Jahr 1400 haben wir Belege, dass der Rat für partikulare Brunnrechte Geld kassierte. Bei Wassernotstand mussten die Inhaber damit rechnen, dass ihnen der Hahn abgedreht wurde. Solche Art Interessenabwägung war auf zahlreichen anderen Feldern nötig. Die einen wuschen ihre Wäsche beim Brunnen, die anderen tränkten mit dem wieder aufgefangenen und weitergeleiteten Abwasser – dem sogenannten Schlechtwasser – ihre Pferde, denen die Lauge auf den Magen schlug. Noch viel schwieriger waren die Streitigkeiten um die Teiche zu lösen. Diese Kanäle, die von Wiese durch Kleinbasel, von Birs und Birsig durch die grosse Stadt geleitet wurden, mussten die Betreiber von Mühlen, Schleifen und Stampfen mit den Flössern teilen, die schnell einmal die Uferbefestigung beschädigen konnten. Metzger, die im oberen Birsigtal ihre Weiden wässerten, konnten Wasserknappheit bei den weiter unten angesiedelten Gewerbetreibenden auslösen. Wassergeschichte ist eine Geschichte permanenter Konfliktbewältigung. Die Räte beider Basel und die ihnen unterstellten Wassermeister und Baukommissare waren kaum die im Alltag entscheidenen Instanzen. Wichtiger waren hier wohl die Teichkorporationen – Nutzergemeinschaften – und die Vorstadtgesellschaften, die ich gern genauer untersuchen möchte.

Kontinuitäten und Diskontinuitäten

Zur Wassernutzung einer Stadt gehört auch das Abwasser. Die gemauerten Rinnen (Dolen), die in den Birsig mündeten und diesen zur grossen Kloake machten, sind für den Zeitraum unseres Bandes (1250-1530) schriftlich immer wieder belegt, weil die übers Wasser mehr oder weniger gut entsorgten Stoffe häufig für Ärger sorgten. Die wesentlich verbesserte Kanalisation unserer Tage stellt sich beim Gedanken an die stinkende Brühe, in die Basel den Birsig verwandelte, als wahrhaft historische Errungenschaft dar. In den letzten Jahren jedoch nehmen die Bedenken zu, die Fäkalienabfuhr überhaupt wässrig zu lösen. Eine jahrhundertelange Kontinuität der flüssigen Entsorgung, die sich lange als Fortschrittsgeschichte präsentierte, in Frage zu stellen – auch das ist Teil der Basler Wassergeschichte.

Autorin

Claudia Moddelmog ist Autorin von Band 3 (1250-1530) der neuen Basler Stadtgeschichte. Sie studierte mittelalterliche Geschichte und Philosophie in Berlin. Ihre Forschungen zur Kontinuität und Diskontinutät von mittelalterlichen Stiftungen führten sie in verschiedene Raumzeiten, die vom 10. bis ins 18. Jahrhundert reichen, von Sachsen bis in den Aargau. In den letzten Jahren hat sie zunehmend in kooperativen Projekten mit Archiven und Museen gearbeitet.

Quellen

Titelbild: Ansicht des St. Alban Teichs und der St. Albankirche mit Chor, von Osten. Staatsarchiv Basel-Stadt, BILD Visch. B 16.

Abb. 1: Grundriss des Münsterwerks nach dem Plan von Hans Tschan. Staatsarchiv Basel-Stadt, Brunn A 5.

Abb. 2: Grundriss des Münsterwerks nach dem Plan von Hans Tschan. Detailausschnitt: Der Brunnen Zscheckenbürlins. Staatsarchiv Basel-Stadt, Brunn A 5.

Abb. 3: Museumseingang Basler Papiermühle. Bild: Kostas Maros, Basler Papiermühle.